Welt der Wunder

Nicht glauben, sondern wissen

Ist die Bibel das meist-zensierte Buch der Welt?

Die Bibel als Heilige Schrift für mehr als zwei Milliarden Christen auf der Welt gilt als Buch der Bücher: Keins wurde in der Geschichte in mehr Sprachen übersetzt, öfter gedruckt – und auch stärker gefälscht?

Fakt ist: Heute könnte selbst ein Papst nicht mehr am „Wort Gottes“ herumschreiben, viele Hundert Jahre gilt das aber nicht. „Die Bibel ist nicht einfach vom Himmel gefallen“, erklärt Annette Schellenberg von der Universität Wien. Sie ist ein Werk von Menschen: Das Neue Testament dreht sich um das Leben Jesu, dennoch schreibt höchstwahrscheinlich kein einziger Zeitzeuge des Religionsstifters daran mit. Als ältester Bestandteil gilt das Markus-Evangelium schätzungsweise aus dem Jahr 70, das wohl aus der Feder eines Schülers des Apostelbegleiters Markus stammt.

Mit der Ausbreitung des Christentums im gesamten Mittelmeerraum entstehen in den folgenden 200 Jahren noch weitere Schriftstücke, derer sich die Gläubigen je nach Bedarf bedienen: Die Christenheit ist damals eher ein loser Verbund lokaler Kirchen als ein mächtiger Block. Spätestens als sich die Kirche von einer brutal verfolgten Sekte zur Staatsreligion des Römischen Reiches entwickelt, muss Ordnung in den Wildwuchs kommen. 

Eine Einheit schaffen

Kaiser Konstantin erkennt das Potenzial des Christentums: „Es ging ihm um Einheit, eine ideologische Basis des Kaiserreichs“, erklärt Scott Bartchy, Kirchenhistoriker an der University of California. Zusammen mit mehr als 200 kirchlichen Würdenträgern legt er auf dem Konzil von Nicäa 325 zentrale Dogmen und Glaubenssätze der Religion fest – und erschafft damit erstmals das offizielle Bild von Jesus: einen friedfertigen Gottessohn inmitten einer rein männlichen Apostelschar, der von Judas verraten wird.

In Wahrheit könnte dieses Bild auch ganz anders aussehen, wie drei abgelehnte Textstellen belegen: Jesus als enger Vertrauter von Maria Magdalena („Petrus sagte zu Maria: ‚Schwester, wir wissen, dass der Erlöser dich weit mehr liebte als den Rest der Frauen.“), als leicht kränkbares Götterkind („Bald darauf ging Jesus wieder durch das Dorf. Da lief ein Junge heran und stieß ihn an seiner Schulter. Da wurde Jesus ärgerlich und sagte zu ihm: ‚Du sollst deinen Weg nicht fortsetzen.‘ Und sofort fiel er [der Junge] hin und starb.“) oder als einer, der Judas für den Erleuchtetsten seiner Jünger hält („Jesus aber sprach: ‚Wahrlich, ich sage dir, Judas, du wirst sie alle übertreffen.‘“). 

Doch die Evangelien von Maria oder Judas zensieren die Kirchenväter, die sich in dem ideologischen Kampf durchsetzen – und stampfen das Neue Testament von mindestens 100 auf heute 27 Bücher zusammen. Was die Grundlage ihrer Auswahl ist, ist unter Historikern umstritten. Fakt ist: Sie legen den Grundstein für fast 2.000 Jahre Antijudaismus sowie für die Autorität der Institution Kirche. Die verworfenen Schriften werden zu Apokryphen, „verborgenen“, „dunklen“ Zeugnissen – schon wenige Jahrzehnte später gilt ihr Besitz als Ketzerei.
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