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Wenn mächtige Menschen zu Monstern werden

Foto: Imago / ITAR-TASS

Wenn mächtige Menschen zu Monstern werden

Erdogan wurde vom Fälscher zum Präsidenten, Putin wurde vom professionellen Lügner zum Staatslenker. Napoleon wurde vom Aufsteiger zum Kriegsverbrecher. Warum viele der größten Machthaber der Geschichte psychopathische Merkmale aufweisen.

Schauen Sie sich um. Auf der Straße, in der Bahn, im Fußballstadion. Einer von 100 Menschen ist ein Psychopath. Er ist charmant und charismatisch – er kann Sie umgarnen, von sich überzeugen. Er ist aber auch skrupellos, er lügt und betrügt. Er kann Sie verletzen und im schlimmsten Falle sogar töten.

Dieses Potenzial schlummert in einem von 100 Menschen – statistisch gesehen. Es gibt aber zwei Milieus, in denen sich Psychopathen deutlich häufiger bewegen. Wenig überraschend sind kriminelle Kreise: Jeder fünfte Gefängnisinsasse ist ein Psychopath. Das andere Milieu ist hingegen erschreckender: In Führungspositionen weist jeder Zehnte psychopathische Züge auf, sagt Gerhard Roth vom Institut für Hirnforschung in Bremen.

Der Grund: Das wesentliche Merkmal von Psychopathen ist der Drang, Macht auszuüben – vor allem wenn es nach ihren eigenen Regeln geschieht. Deswegen brauchen sie Umfelder, die ihnen möglichst großen Gestaltungsspielraum geben: Sie sitzen in Vorständen, sind Manager oder Politiker. Diese Positionen nutzen sie für ihren eigenen Vorteil aus. Der Schaden, den sie dort anrichten können, ist immens. Das zeigt ein Blick in die Chroniken der Menschheit.

Denn obwohl das psychopathologische Krankheitsbild vor nicht einmal 50 Jahren von Richard D. Hare entdeckt wurde, waren Psychopathen schon immer Teil der Weltgeschichte. Sie manipulierten diese und veränderten sie nach ihren Vorstellungen.

Psychopathen sind tickende Zeitbomben

Einer von 100 Personen findet es schlichtweg aufregend, Menschen zu manipulieren, sie zu erniedrigen oder zu töten. Doch woran erkennt man diesen einen? Der Kriminalpsychologe Robert D. Hare suchte 35 Jahre lang Antworten auf diese Frage. Gemeinsam mit seinem Team führte er Tausende Feldstudien in Nervenkliniken durch, machte hunderte Hirnscans von Vergewaltigern, Totschlägern und Serienkillern, analysierte das Verhalten unzähliger Despoten und Manager in Führungspositionen und verglich sie mit gesunden Menschen.

Aus den Ergebnissen dieser Forschungen entwickelte Hare ein Instrument, mit dem sich Psychopathen zuverlässig identifizieren lassen: die sogenannte Psychopathy Checklist Revised (PCL-R), einen Katalog mit 20 Kategorien, in denen jeweils 0, 1 oder 2 Punkte vergeben werden.

Zu den Kriterien der PCL-R und damit zu den typischen Eigenschaften eines Psychopathen gehören unter anderem:

  • oberflächlicher Charme, 
  • manipulatives Verhalten, 
  • krankhaftes Lügen, 
  • mangelnde,
  • auffallend hohe Impulsivität.

Je stärker diese Merkmale ausgeprägt sind, desto schwerer können diese Menschen ihre Triebe unter Kontrolle halten. Sie stehen an der Schwelle zum Psychopathen oder haben sie bereits überschritten. Und die Geschichte kennt viele, die jenseits der Schwelle standen.

„Viele der charismatischen Führer in der Geschichte waren psychopathisch“, sagt Jens Hoffmann, Leiter des Instituts für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt. „Das kann in manchen Fällen durchaus sinnvoll sein, weil solche starken, angstfreien Persönlichkeiten die Gruppe angeführt haben und oft auch wichtige historische Entwicklungen angeschoben haben.“ Zur Eskalation kommt es, wenn psychopathische Führer nicht kontrolliert oder beseitigt werden können. 

Wie Psychopathen die Welt verändern

Einer von 100 – im Deutschland des Jahres 1939 waren das bei 80 Millionen Menschen rund 800.000 Psychopathen. 800.000, die sich in einer Zeit der Unsicherheit nach Machtpositionen sehnten. Das NS-Regime musste nicht nach skrupellosen Verbrechern suchen. Nein: Rund 800.000 Psychopathen wurden vom totalitären System angezogen wie Motten vom Licht – bereit, die größten Verbrechen im Namen des Vaterlandes zu begehen. Und Hitler selbst? Schon als Junge fiel er durch abnorme Wutanfälle auf.

Auch seine Überheblichkeit zeigte sich früh. Etwa, als er als Jugendlicher Lotto spielte und felsenfest überzeugt war zu gewinnen. Entsprechend verlor er die Fassung, als das nicht der Fall war. Und er wollte Maler werden. Aber eine Ablehnung an der Akademie der Bildenden Künste in Wien zog er keine Sekunde in Betracht. Doch er wurde abgelehnt, zweimal. 

Aus dem Kunstmaler wurde der Kriegstreiber. Erst stürzte er sich als Soldat in den Ersten Weltkrieg. „Wäre dieser Mann in eine andere Zeit hineingeboren worden, hätte man ihm eine verheerende Diagnose gestellt. So aber kam er an die Macht“, sagt der Psychiater Ernst Kretschmer. „Ablehnung und Misserfolg sind für eine psychopathische Persönlichkeit untragbar“, sagt Robert Hare.

Zusammen mit einem Charakterzug, den Psychologen Narzissmus nennen, entsteht daraus eine hochexplosive Mischung. Ein Typus, den Adrian Raine vom Department of Criminology der University of Pennsylvania als den „erfolgreichen Psychopathen“ bezeichnet. Die „erfolgreichen Bösen“.

Die Geschichte kennt viele. Stalin etwa. Es ist besonders tragisch, dass damals zwei der größten Psychopathen aufeinandertrafen: Hitler und Stalin. Keiner konnte nachgeben oder gar aufgeben. 50 Millionen Menschen mussten ihretwegen sterben. Und jeder der beiden schuf Freiräume für weitere Psychopathen, die ihnen halfen. Sie rekrutierten mühelos immer mehr Psychopathen aus der Bevölkerung – jeden 100. Menschen.

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