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Das Industrial Metaverse – nur Hype oder die Zukunft des Maschinenbaus?

Foto: Envato / DisobeyArtPh

Das Industrial Metaverse – nur Hype oder die Zukunft des Maschinenbaus?

Seit einigen Monaten ist vor allem im deutschsprachigen Raum vom Industrial Metaverse die Rede – und von einer bevorstehenden Revolution der industriellen Fertigung und Instandhaltung. Das steckt dahinter:

Das Metaverse wird die nächste Entwicklungsstufe des Internets sein. Statt zweidimensionaler Websites werden wir das World Wide Web als frei erkundbare dreidimensionale Welt erleben. Dabei wird das Metaverse eine offene, dezentrale Struktur aufweisen, in die sich unendlich viele Angebote und Erlebnisse nahtlos integrieren lassen.

Das Metaverse als dezentrale Struktur ist momentan noch Zukunftsmusik

Aktuell befinden wir uns in einer Art Proto-Metaverse-Phase. Zwar können wir bereits einen Vorgeschmack zahlreicher Technologien erleben, die das Metaverse prägen werden. Allerdings sind diese noch in separate Plattformen mit speziellen Ausrichtungen eingebunden.

„Roblox“ und „Fortnite“, zwei der aktuell erfolgreichsten Metaverse-Plattformen, basieren auf Mechaniken traditioneller Computer- und Videospiele. Auf Plattformen wie „The Sandbox“ stehen dagegen soziale Interaktion und digitaler Handel im Vordergrund.

Ist das Digital Metaverse nur ein Proto-Metaverse unter vielen?

Die Industrial-Metaverse-Technologie, die bereits bei Firmen wie Siemens, BMW und Deutsche Bahn zum Einsatz kommt, ist dagegen konsequent auf den professionellen Einsatz ausgerichtet. Dabei geht das Industrial Metaverse weit über virtuelle Meetings und in 3D nachgebildete Büroumgebungen hinaus. Vielmehr ist es direkt auf die Optimierung von Industrieanlagen ausgelegt.

Das Industrial Metaverse profitiert vom fortgeschrittenen Stand der Technik bei der Simulation physikalischer Prozesse

Inzwischen ist 3D-Grafik so leistungsstark, dass sie fotorealistische, aus jeder Perspektive einsehbare Umgebungen und Objekte generieren kann. Ebenso weit fortgeschritten ist ein Aspekt simulierter 3D-Welten, der zwar überwiegend im Hintergrund wirkt, aber für ein realistisches Erlebnis von hoher Bedeutung ist. Die Simulation physikalischer Vorgänge im 3D-Raum ist innerhalb des letzten Jahrzehnts um ein Vielfaches realistischer geworden.

Die Simulation von – unter anderem – Schwerkraft, Gewicht, Dichte und Reibung wurde jahrzehntelang vor allem in dreidimensionalen Computer- und Videospielen eingesetzt. Inzwischen liefern 3D-Grafiken mit simulierter Physik so überzeugende Ergebnisse, dass praktisch jedes Szenario realistisch simuliert werden kann.

Das Industrial Metaverse soll helfen, die Kosten und den CO2-Ausstoß bei der Entwicklung und Wartung von Maschinen zu reduzieren

Das Industrial Metaverse will konsequent moderne 3D-Technologie nutzen, um digitale Zwillinge von Fabriken und Produktionsanlagen zu schaffen. Auf diesen digitalen Zwilling können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit zugreifen, um in einer virtuellen 3D-Umgebung mit ihm zu interagieren. In einer Reihe von Anwendungsfällen kann der digitale Zwilling auch zuerst erstellt und erst danach in die Realität umgesetzt werden.

Damit verfolgt das Industrial Metaverse einen völlig anderen Ansatz als andere Metaverse-Plattformen. Statt Aspekte der Realität aufzugreifen und in eine flexible digitale Welt zu übertragen, geht es hier darum, reale Prozesse möglichst genau in einer simulierten 3D-Welt abzubilden.

Das verspricht das Industrial Metaverse

  • Durch die realistische Simulation physikalischer Abläufe sollen Maschinen und Gebäude zuerst im Industrial Metaverse geplant und dann gefertigt werden können. Dies verspricht eine optimierte Planungsphase mit weniger Verschleiß, geringerem CO2-Ausstoß und günstigeren Entwicklungskosten.
  • Auch Modifikationen bereits existierender Konstruktionen sollen zuerst im Metaverse geplant werden können, bevor sie im wirklichen Leben umgesetzt werden.
  • Dadurch, dass durch die Erstellung virtueller Prototypen zentrale Konstruktions- und Fertigungsprozesse optimiert werden, erlaubt das Industrial Metaverse theoretisch das Einsparen physikalischer Ressourcen.
  • Durch die Simulation physikalischer Abläufe soll zudem der Verschleiß und Energieverbrauch von Geräten aller Art prognostiziert werden können.
  • Auch Schulungen von Personal können mithilfe digitaler Zwillinge stattfinden.
  • Digitale Zwillinge von Fertigungsstätten oder Maschinerie werden nicht mühsam von Hand erstellt, sondern mit der Unterstützung von 3D-Scannern und generativer KI.
  • Theoretisch kann durch digitale Zwillinge auch der Verschleiß der Bauteile real existierender Maschinen berechnet werden. Dies erlaubt eine Prognose, wann Ersatzteile benötigt werden.
  • Das Anfertigen digitaler Zwillinge von Fertigungsstätten und Maschinerie soll auch deren Wartung erleichtern. Statt umständlicher Beschreibungen von Fehlfunktionen wird die Maschine per 3D-Scanner digital nachgebildet und als Datei an den Wartungsexperten übermittelt.
  • Durch Auswertung der Vorgänge in einer virtuellen Fabrikhalle entstehen „synthetische Daten“. Diese können wiederum zum Anlernen von KI-Modellen verwendet werden, deren Aufgabe die Automatisierung und der Überwachung von Abläufen ist.

Wie akkurat kann ein digitaler Zwilling wirklich sein?

Ob das Industrial Metaverse seinen Vorschusslorbeeren gerecht wird, bleibt abzuwarten. Ob virtuelle Zwillinge von Maschinen ihre hochgesteckten Ziele erreichen, hängt davon ab, wie nahe diese der Realität tatsächlich kommen können.

Die Simulation physikalischer Prozesse hat zwar in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass in naher Zukunft eine hundertprozentig realistische Simulation erreicht werden kann.

Hundertprozentig realistisch simulierte Physik ist noch eine Zukunftsvision

Viele natürliche Prozesse – wie z. B. Wetterwechsel – gelten heute noch als nicht vollständig vorhersagbar. Darüber hinaus sind etliche physikalische Vorgänge bis heute noch nicht umfassend erforscht – wie etwa die Wirkung von Schwerkraft auf mikroskopischer Ebene. Eine hundertprozentig realistische Nachbildung ist daher mit dem aktuellen Stand der Technik unmöglich.

Auch wie exakt die Vorgänge in elektrischen Schaltkreisen anhand eines digitalen Zwillings abgebildet werden können, wird sich zeigen. Vor allem wenn hierfür ein 3D-Scanner zum Einsatz kommt. Auf Dauer könnte die Erstellung akkurater digitaler Zwillinge real existierender Maschinen so aufwendig werden, wie die Konstruktion der realen Maschine selbst.

Das Industrial Metaverse als versteckter Ressourcenfresser?

Das Industrial Metaverse wird als extrem ressourcenschonend beschrieben. Aussagekräftige Statistiken über den Energieverbrauch der notwendigen Rechenleistung gibt es jedoch noch nicht. So könnte ein digitaler Zwilling eines real existierenden Maschinenprototypen zwar Kosten für Bauteile sparen, aber die eingesparten Ressourcen durch die entstehenden Energiekosten wieder ausgleichen. Wie viel seiner Versprechen das Industrial Metaverse einhalten wird, werden die kommenden Jahre zeigen.

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