Welt der Wunder

Nicht glauben, sondern wissen

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Foto: istock/ Jrleyland

Dachse: die Könige der Unterwelt

Sie leben zu Tausenden in unseren Wäldern, untergraben diese förmlich mit riesigen Höhlenbauten – und doch begegnet man Dachsen äußerst selten. Über das Leben der scheuen und geheimnisvollen Tiere ist nur wenig bekannt, lange galten sie als aggressiv und zerstörerisch. Dabei ist Meister Grimbart gar nicht so finster wie sein Ruf.

Nachts sind alle Dachse grau – sollte man meinen. Sicher ist: Was seinen Körperbau angeht, scheint sich der Dachs unschlüssig zu sein, ob er lieber Bär oder Marder sein will. Der Kopf mit der spitzen Schnauze, dessen Stromlinienform noch durch die schwarz-weißen Rallyestreifen betont wird, geht ab dem Hals abrupt über in einen vergleichsweise pummeligen Körper.

Dachse lassen sich selten blicken

Der Dachs, obwohl zehntausendfach in unseren Wäldern präsent, ist eines der geheimnisvollsten heimischen Tiere. Nur wenige Menschen können von sich behaupten, schon einmal einen Dachs in freier Wildbahn erblickt zu haben. Kein Wunder: Dass wir den schwarz-weißen Gespenstern des Waldes so selten begegnen, liegt an ihrem hochsensiblen Geruchssinn. Die Tiere registrieren einen Menschen, lange bevor dieser überhaupt in Sichtweite ist – und ziehen sich umgehend in ihren Bau zurück.

Damit ist der Dachs ein echter Sonderfall: Füchse, die in der Vorstadt herumwuseln, Waschbären, die in Müllcontainern wühlen, Wildschweine, die dasselbe in Schrebergärten tun: Diesem Rabaukentum setzt der Dachs ein gesittetes Leben in wohlgeordneten Bahnen entgegen – bloß keine Experimente! Was der größte Marder Deutschlands nicht kennt, lässt er links liegen. Stets nutzen Dachse die immer gleichen Trampelpfade bei ihren nächtlichen Streifzügen. Meles meles ist eben buchstäblich geerdet.

Generationen-Bau unter Tage

Gäbe es die Riester-Rente oder Bausparverträge für Tiere, der Dachs hätte sie alle! Irgendwann im Laufe der vergangenen 12 Millionen Jahre – etwa so lange gibt es Marder auf der Erde – muss sich eines der tiefergelegten Pelztiere vom Jagen weitgehend verabschiedet und all seine Energie auf die Errichtung und das Design eines behaglichen Tiefbaus gelegt haben. Und wir reden hier nicht von einer zugigen Höhle für eine Saison: „Schloss Dachs“ soll mehreren Generationen als Familiensitz zur Verfügung stehen.

Das Ergebnis ausgefeilter Innenarchitektur sieht man heute: komplexe, über Jahre angelegte unterirdische Systeme aus Gängen und Kammern. Hier ist absolute Sauberkeit Trumpf! Überflüssig, zu sagen, dass sich die Toiletten außerhalb des Haupthauses befinden. Teppichböden aus Gras und Heu, die der Dachs akribisch in den zahlreichen Kammern des Baus verlegt, bringen Gemütlichkeit ins Heim. Sobald die Auslegeware jedoch alt und trocken ist, wird sie rausgeworfen. Dachsbaue erkennt somit selbst der Laie an einer sperrmüllartigen Häufung von Grünzeug mitten im Wald. Doch dieser Putzwahn könnte noch einen anderen – sehr schlauen – Grund haben: Laub und Gras gären im Bau und erzeugen dabei Wärme. Übrigens halten Dachse auch keinen Winterschlaf – sie sind in der kalten Jahreszeit nur weniger aktiv.

Jäger und Gejagte

Wer jetzt glaubt, Dachse seien öde Langweiler, die sich bei Gefahr im Bau verkriechen, irrt jedoch. Der Dachs ist ein wehrhaftes Wild, einst bejagt für sein Fett, das bei Rheuma helfen sollte, und für seine Haare, die man für Rasierpinsel nutzte. Um die Schwarz-Weißen in ihren Höhlen zu überwältigen, wurde sogar eine eigene, ähnlich tiefergelegte Hunderasse gezüchtet. Der Dachshund, kurz Dackel genannt. Glücklich sind jene Dackel, die im Park Gassi gehen dürfen. Denn ein Dachsbau kann für sie die Hölle sein.

Im Gegensatz zum Fuchs flüchtet Meles meles nicht etwa vor dem Jagdhund. Er dreht ihm fix den Rücken zu und schaufelt ihm Erde und Steine ins Gesicht. Der Dackel kann gar nicht so schnell nachgraben, wie der Dachs ihm Erdreich entgegenschleudert. Die Folge: Der Hund schaufelt sich sein eigenes Grab, weil ihm irgendwann der Rückweg versperrt ist, während sich der Dachs durch einen anderen Gang davonmacht. Und sollte der Grabtrick fehlschlagen, greift immer noch rohe Gewalt: Wenn es drauf ankommt, beißt ein Dachs fester zu als alle anderen heimischen Säugetiere.

Raubtier und Obstsammler

Denn so niedlich er auch scheint, der Dachs gehört wie alle anderen Marder zur Ordnung der Carnivora, also zu den knallharten Raubtieren. Ein zusätzlicher Knochenkamm am Schädel stabilisiert die extrem starken Kiefermuskeln.

Wenn er wollte, könnte der Dachs alles zerkleinern, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist. Tut er aber nicht. Denn rein jagdtechnisch gebärdet sich Meles meles vergleichsweise entspannt. Will sagen: Er jagt fast nie aktiv, sondern sammelt lieber Wurzeln, Fallobst und vor allem Regenwürmer, die seinen Bedarf an Flüssigkeit decken. Wir fassen zusammen: Ein zwanzig Jahre langes Leben in freier Natur, reiches Nahrungsangebot und mietfreies, sicheres Wohnen – der Dachs macht alles richtig!

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