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Meister der Manipulation: Wie durchschaue ich einen Psychopathen?

Sie haben kein Gewissen und kennen weder Furcht noch Mitleid. Diese Eigenschaften machen Psychopathen allerdings nicht zwangsläufig zu brutalen Verbrechern. In Wirklichkeit bestimmt die Kombination verschiedener Faktoren, ob jemand zum Serienkiller wird oder in der Chefetage eines Unternehmens landet.

Ungemütliche Begegnungen mit Psychopathen sind für den englischen Psychologen Kevin Dutton wie Unterricht. Er besucht die geschlossenen Anstalten seines Landes und hat eine Mission: Dutton will herausfinden, wie Psychopathen es schaffen, die Hälfte aller schweren Verbrechen zu begehen – wo sie doch nur ein Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Warum können sie immer wieder normale Menschen betrügen oder ermorden? Die Ergebnisse von Duttons Interviews mit den Insassen der geschlossenen Anstalt Broadmoor sind so faszinierend wie unheimlich: Das Gehirn von Psychopathen arbeitet anders, und das bringt ihnen im Alltag nicht nur Nachteile. In einigen Lebensbereichen sind Psychopathen sogar überdurchschnittlich talentiert.

Was macht Psychopathen außergewöhnlich?

Sie könnten der Chirurg sein, der jemandem das Leben rettet – oder der Mann, der dieser Person den Schädel eingeschlagen hat. „Psychopathie ist keine Frage von Schwarz oder Weiß. Man muss sich das eher wie eine Skala oder ein DJ-Pult vorstellen“, sagt Dutton. Wenn alle Regler voll aufgedreht sind, landet man wahrscheinlich für dreißig Jahre hinter Gittern. Doch Gewalttätigkeit gehört gar nicht unbedingt zu den Kriterien eines Psychopathen – Intelligenz auch nicht.

Diese Eigenschaften entscheiden jedoch, wie man sich entwickelt. Wer psychopathisch und dazu gewalttätig ist, wird oft kriminell. Doch wenn statt Gewalt Intelligenz ins Spiel kommt, landen viele Psychopathen im Parlament oder im OP-Saal. Die Regler des Psychopathen-Pults müssen also nur in Maßen und in der richtigen Kombination aufgedreht sein, um als Psychopath Karriere zu machen.

Kein Mitleid: Wann können Gefühle im Weg stehen?

Nehmen wir den britischen Neurologen Dr. Geraghty (Anmerkung der Redaktion: Die Namen von Dr. Geraghty und sämtlichen Insassen wurden geändert): Tausende Menschen legen sich bei ihm voller Vertrauen unters Messer. Dabei unterscheiden ihn wohl nur wenige Eigenschaften von einem gefährlichen Verbrecher. Denn Geraghty gehört nicht etwa wegen seines Mitgefühls, sondern wegen seiner Emotionslosigkeit zu den Besten seines Fachs.

„Ich habe kein Mitleid mit meinen Patienten. Den Luxus kann ich mir nicht erlauben. Im OP werde ich als kalte, herzlose Maschine wiedergeboren, die mit Skalpell, Bohrer und Säge im Einklang steht. Wenn man dabei ist, den Tod wegzuschneiden und zu überlisten, sind Gefühle fehl am Platz. Sie bedeuten Unsicherheit und sind schlecht für das Geschäft. Ich habe meine Emotionen über die Jahre ausgelöscht“, erklärt er.

Im OP-Saal ist sein Gehirn nur auf seine Aufgabe fokussiert. Dabei filtert es Angst und alle anderen Faktoren, die es ablenken könnten, rücksichtslos aus. Durch die Fähigkeit, seine Gefühle in den Hintergrund zu drängen, sind Geraghtys Leistungen überdurchschnittlich gut.

Keine Angst: Wie schalte ich die Furcht in meinem Kopf aus?

Psychopathen würden jedes Model ansprechen. Sie lassen sich von keiner Frau einschüchtern – nicht weil sie immer Erfolg haben, sondern weil Furcht für sie ein Fremdwort ist. Ihr Gehirn ist anders gestrickt: „Es filtert Furcht aus. Das Angstzentrum im Bereich der Amygdala ist nie im Betrieb. Das führt dazu, dass ein Psychopath Bedrohungen gar nicht als solche wahrnimmt“, erklärt Dutton.

Diese Eigenschaft verleiht dem Psychopathen Nerven aus Stahl und große Belastbarkeit. Das macht einige Psychopathen zu idealen Soldaten. Bei der Auswahl ihrer SAS-Spezialkräfte setzt die britische Armee alles daran, um die Belastbarkeit ihrer Rekruten bis aufs Äußerste zu testen. „Man bricht die Psyche nicht mit Gewalt selbst, sondern mit Drohungen“, sagt ein Ausbilder.

Besonders beliebt: der Lastwagen-Test. Er wartet auf die Rekruten, wenn sie körperlich ohnehin schon am Ende sind. Dann fesseln die Ausbilder einen Soldaten und legen ihn vor einen Lkw. Sie verbinden ihm die Augen. Der Lkw fährt langsam nach vorn – bis der Motor nur Zentimeter vom Ohr des Soldaten entfernt ist. Der Lärm ist nur der Anfang: Der Fahrer springt heraus und lässt den Motor laufen.

Aus der Ferne fragt jemand, ob der Fahrer die Handbremse gezogen hat. Jetzt presst ein anderer Ausbilder dem Rekruten einen Ersatzreifen an die Schläfe – der Druck wächst. „Nach ein paar Sekunden nehmen wir den Reifen weg, ziehen die Augenblende ab und schreien ihn an. In diesem Moment geben viele auf“, erklärt der Ausbilder.

Keine Furcht vor gar nichts

Solche Belastungsproben sind für Psychopathen ein Witz. Bei Duttons Besuch in der Hochsicherheitsanstalt Broadmoor erklären ihm die Insassen, warum: „Das hat nichts mit Mut zu tun. Wenn du nie Angst hast, brauchst du ja auch nicht mutig zu sein, oder? So wie ich Angst verstehe – ehrlich gesagt, habe ich mich noch nie gefürchtet – ist sie meistens sowieso unbegründet. Der Lkw-Stunt ist doch nur ein Psychospiel“, erzählt der Psychopath Leslie.

Sein Tipp für den Alltag: „Hindere dein Gehirn daran, in Zukunftsszenarien vorzupreschen. Wenn du das tust, knackst du auch den Mut.“ Danny, ein anderer Häftling der Anstalt Broadmoor, kennt noch einen weiteren Trick: „Nächstes Mal, wenn du so richtig Angst hast, frag dich selbst: Was würde ich tun, wenn ich mich nicht so fühlen würde? Und dann tu es einfach.“

Das Motto der Psychopathen: „Tu es einfach!“

Ein Beispiel: Fast jeder will eine Gehaltserhöhung. „Doch nur die wenigsten trauen sich, danach zu fragen“, sagt Dutton. „Viele Leute haben Angst davor, was ihr Chef denkt oder ihre Kollegen von ihnen halten“, fährt er fort. Ein Psychopath konzentriert sich auf die positiven Folgen der Gehaltserhöhung.

Beim Gespräch mit dem Chef ist er dadurch selbstbewusster, überzeugender. Die Folge: In aller Wahrscheinlichkeit verlässt er den Raum mit mehr Gehalt als seine Kollegen. Was sie dann von ihm halten, ist dem Psychopathen egal – sein Motto lautet: „Just do it.“ Diese Mentalität beschert Psychopathen einen weiteren Vorteil: Sie schieben nie etwas auf die lange Bank und arbeiten somit effektiver.

Blick ins Psychopathen-Gehirn

Forscher der Universität Tübingen haben sogar einen Weg gefunden, um Belastungstraining und Psychotricks überflüssig zu machen. Mithilfe der sogenannten TMS-Technologie können sie jeden Menschen innerhalb von Sekunden so nervenstark machen wie einen Psychopathen.

TMS – die Transkranielle Magnetstimulation – funktioniert nach dem Prinzip eines Lichtdimmers. Sie kann die elektrischen Signale in bestimmten Bereichen des Gehirns hemmen. „Für das Psychopathen-Experiment ist das Emotionszentrum, die Amygdala, entscheidend“, betont Dutton. TMS schaltet sie und damit auch unsere Furcht regelrecht ab. Der Nachteil: Der Effekt hält nur etwa eine halbe Stunde an.

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