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Foto: perutskyy / Envato

Krieg in der Ukraine: Von den Hunnen bis Putin kämpften Mächte um die Ukraine

Der Krieg in der Ukraine hält an. Nachdem Russlands Präsident das Land im Februar 2022 angriff, blickt die ganze Welt nach Osteuropa. Seit Jahrhunderten kämpfen Mächte um das Land und verwickeln die heutige Ukraine in militärische Konflikte. 

 

Der Krieg ist nach Europa zurückgekommen. Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine sicherheitspolitische Zäsur mit globalen Konsequenzen. Doch das weite Land zwischen Bug und Donez ist nicht zum ersten Mal Schauplatz blutiger militärischer Konflikte. Bereits in der Spätantike wurden an Europas östlicher Peripherie die Weichen mit Waffengewalt gestellt – und immer war der Krieg in der Ukraine verbunden mit dem namenlosen Leid der hier lebenden Menschen.

Die Ukraine als Spielball der Mächte

Die Ukraine gehört zu den am meisten umkämpften europäischen Regionen. Das Novum an Putins Krieg: Er richtet sich erstmals gegen die Ukraine als eigenständigen Staat. In den Jahrhunderten zuvor war das heute zweitgrößte Land Europas wiederholt umkämpftes Siedlungsgebiet oder rein strategischer Operationsraum. Eine Staatlichkeit der Ukraine spiele dabei keine Rolle. Während die heutigen Machthaber im Kreml die Ukraine als Staat zerschlagen wollen, gerieten in der Vergangenheit meist Machtblöcke aneinander, die keine direkte Beziehung zu dem Land hatten. Seit rund 65 Jahren schwiegen aber die Waffen.

1989 sprach der US-amerikanische Politologe Francis Fukuyama sein berühmtes Diktum vom „Ende der Geschichte“ aus. Der Liberalismus westlicher Prägung hatte den Kommunismus abgelöst. Krieg in Europa war eine Vorstellung, die in den modernen Gesellschaften keine Grundlage mehr hatte. Mit der 2014 erfolgten Annexion der Krim durch Russland wurden jedoch Entscheidungen gefällt, die sich kaum von der Machtpolitik der späten Römerzeit unterscheiden.

Die Völkerwanderung begann in der Ukraine

Die meisten Einwohner des römischen Weltreichs werden Ende des vierten Jahrhunderts nicht viel über die Menschen in den Steppengebieten und Weideflächen nördlich des Schwarzen Meers gewusst haben. Doch ging von denen möglicherweise der entscheidende Impuls aus, der die Welt der Römer zum Einsturz bringen sollte. Im Jahr 376 tauchten aus dem Osten kommende gotische Stämme an der Donau auf und begehrten Aufnahme in die römischen Provinzen.

Die Goten waren damals das, wofür wir heute die Begriffe Migranten oder Flüchtlinge verwenden. Ihnen saß der Schrecken im Nacken. Wenige Jahrzehnte zuvor noch hatten sie auf der Krim und an den Flusslandschaften der heutigen Ukraine gesiedelt. Doch erwies sich diese Heimat nur als Zwischenstation für die aus Skandinavien eingewanderten Stämme: Das Reitervolk der Hunnen war aus den Tiefen Zentralasiens heraus seinerseits auf Wanderschaft gegangen und hatte in verheerenden Kämpfen die Goten nach Westen getrieben.

Die Hunnen verschossen ihre Pfeile mit Kompositbögen und waren ihren Gegnern auch taktisch überlegen. So wechselte das Gebiet der heutigen Ukraine in wenigen Jahren durch gewaltsame Landnahme seine Einwohner. Mit diesem ersten Krieg in der Ukraine war der Anstoß zu einem tiefgreifenden Wandel der europäischen Ordnung gegeben, der Völkerwanderung. Schon die Donauüberquerung 376 führte zu verlustreichen Kämpfen und einem Zuwanderungsdruck, dem das Imperium der Römer auf Dauer nicht gewachsen war.

Ukraine-Krieg der Mongolen und Tartaren

Bis zum 11. Jahrhundert bildete sich das Reich der Kiewer Rus. In den 1230er-Jahren fand es ein abruptes Ende: Batu Khan, Enkel Dschingis Khans, drang mit einem gewaltigen Mongolenheer in die Gebiete der Rus ein. Er unterwarf die Fürstenstaaten, die auf heutigem Gebiet Russlands und der Ukraine bestanden.

Die dabei begangenen Gräueltaten der Mongolen haben sich tief in die kollektive Erinnerung der Nachgeborenen eingegraben. 1240 sollen zehn Prozent der früheren Bevölkerung der Kiewer Rus nicht mehr am Leben gewesen sein. Aus dem mongolischen Reich der Goldenen Horde erwuchsen später tatarische Khanate, die sich harte Kämpfe mit den in den folgenden Jahrhunderten vordringenden Truppen des Großfürstentums Moskau lieferten. Die Bildung von zeitweilig autonomen Kosakenstaaten in der heutigen Ukraine führte bis weit ins 18. Jahrhundert hinein zu ständigen Gefechten mit den Krimtataren – bis 1783 auch die Krim formell ins russische Zarenreich eingegliedert wurde. 

Skandinavier sterben in der ukrainischen Steppe

Schwedische Invasoren in der Ukraine gab es in der Vergangenheit ebenfalls: Von 1700 bis 1721 wurde ein erbitterter Krieg um den Ostseeraum geführt. Russland gehörte zu den Mächten, die dem Eroberungsstreben Schwedens ein Ende setzen wollten. 1708 griff der schwedische König Karl XII. mit einer kleinen Streitmacht das Zarenreich direkt an. Der 27-jährige Herrscher gelangte im Sommer 1709 bis zur ukrainischen Festung Poltawa, konnte sie aber nicht einnehmen. Ein bald heranrückendes russisches Heer unter Zar Peter I. schlug die Schweden vernichtend und setzte einen wichtigen Meilenstein zur Konsolidierung des modernen russischen Staates. Schweden sollte sich von dieser Niederlage im Krieg um die Ukraine nie wieder erholen. Poltawa liegt nur wenige Kilometer südwestlich von Charkiw und bekommt die Kampfhandlungen seit dem 24. Februar 2022 unmittelbar zu spüren.

Krimkrieg erschüttert die Ukraine

Im 19. Jahrhundert dehnte sich Russland immer weiter aus. Der aggressiv-imperialistische Staat hatte es auf Gebiete des Osmanischen Reichs abgesehen – eine Entwicklung, die die europäischen Großmächte mit Sorge sahen. Es kam zu einer Machtkollision, bei der Russland neben der Türkei auch England, Frankreich und Sardinien-Piemont gegen sich hatte. Von 1853 bis 1856 tobte der Krimkrieg. Er gilt als erster moderner Krieg, da er bereits die industrialisierte Kriegsführung, die Schützengräben und Materialschlachten kommender Konflikte vorwegnahm.

Nach der Landung eines britisch-französischen Expeditionskorps auf der Krim fraßen sich die Kontrahenten bei der Belagerung der Festung Sewastopol fest. Über viele Monate konzentrierte sich die gesamte Wucht dieses großräumig geführten Krieges auf die Festungsstadt am Schwarzen Meer. Im September 1855 konnte Russland die verbissen umkämpfte Festung nicht mehr halten, im März 1856 wurde Frieden geschlossen. Zur Ikone der Menschlichkeit inmitten der erbarmungslos geführten Auseinandersetzungen wurde damals die britische Krankenschwester und Begründerin der modernen Krankenpflege Florence Nightingale. Sie sorgte in den Lazaretten auf der Krim für einigermaßen menschenwürdige und hygienische Bedingungen.

Erster Weltkrieg: Wieder wird um die Ukraine gekämpft

Ging die Zahl der Toten, Verstümmelten und Vertrieben in den bisherigen Konflikten in der Ukraine schon jeweils in die Zehntausende, so brachte der Erste Weltkrieg eine ganz neue und bis dahin unvorstellbare Opferdimension. Die heutige Ukraine gehörte 1914 sowohl zum russischen Zarenreich als auch zu Österreich-Ungarn. So war im Sommer des Jahres 1914 das habsburgische Lemberg (heute Lwiw) ebenso umkämpft wie die Bugregion. Beidseitige Offensive wendeten das Blatt immer wieder, bis im Frühjahr 1918 die Mittelmächte das Gebiet der gesamten heutigen Ukraine einnahmen. Nach dem Ende dieses ersten Weltkriegs und nach dem Abzug der deutschen Truppen rangen Separatisten, Bolschewiki, Weißgardisten und andere nationalistische Gruppierungen um die Ukraine, was das vom Krieg gebeutelte Land noch tiefer ins Elend stürzte. 1922 wurde die kurzzeitig erstmals unabhängige Ukraine eine Sowjetrepublik der Sowjetunion.

Zweiter Weltkrieg: unvorstellbare Opferzahlen

1921 fielen westukrainische Gebiete an das gerade erst unabhängig gewordene Polen. Als Nazideutschland 1939 Polen überfiel, zog Stalin nach und verleibte im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes diese Territorien der Sowjetunion ein. 1941 griffen Hitlers Armeen dann auch das kommunistische Russland – weshalb die Ukraine in Teilen bis 1944 Kriegsgebiet war und unter deutscher Verwaltung stand. So gut wie jede Stadt, jedes Dorf und jeder Flussübergang wurden zum Schauplatz mörderischer Schlachten, die mit einem Mehrfachen an Truppen ausgetragen wurden als der gegenwärtige Krieg in der Ukraine.

Zur Veranschaulichung: In der Kesselschlacht um Kiew im Spätsommer 1941 zerschlug die deutsche Wehrmacht 43 sowjetische Divisionen. Etwa 500.000 deutsche Soldaten standen gegen 850.000 Rotarmisten, wobei die deutsche Seite nach dem Ende der Kämpfe rund 100.000 Gefallene und Verwundete verzeichnete, während die Rote Armee über 160.000 Tote und Verwundete verlor sowie über 660.000 Gefangene. Um Charkiw, das mehrfach den Besitzer wechselte, gab es gleich mehrere Schlachten. Diese und andere Operationen in der Ukraine forderten von beiden Seiten einen Blutzoll, der regelmäßig in die Hunderttausende ging. Im gleichen Zeitraum verübten die Deutschen Kriegsverbrechen in der Ukraine und begingen Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung.

Am Ende des Zweiten Weltkrieg waren viereinhalb Millionen ukrainische Zivilisten nicht mehr am Leben, darunter eineinhalb Millionen Juden. Zehn Millionen Menschen waren obdachlos. Noch höher dürften die Zahlen der gefallenen ukrainischen Soldaten gewesen sein. Zwei Millionen Ukrainer wurden als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Als wäre dieses kaum vorstellbare Leid nicht genug, lieferte sich nach dem Vorrücken der siegreichen Sowjetarmeen eine aufständische ukrainische Untergrundarmee nach lange nach Kriegsende Kämpfe gegen das Sowjetregime, aber auch gegen polnische Minderheiten. 1991 erlangte die Ukraine ihre Unabhängigkeit.

Wer sich heute mit den Schreckensbildern aus Butscha, Mariupol und anderen zum Symbol des russischen Angriffskrieges gewordenen Orten konfrontiert sieht, sollte im Bewusstsein haben, dass die Ukraine auf eine lange Geschichte voller Gewalt und Krieg zurückblickt – und sich die Menschen dort nichts sehnlicher erhoffen als Frieden und Freiheit.

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