Welt der Wunder

Nicht glauben, sondern wissen

Warum uns Avatare so faszinieren

Screenshot: MILC Metaverse

Warum uns Avatare so faszinieren

Avatare können uns online exakt so darstellen wie wir sind. Sie können uns jedoch auch abbilden, wie wir gerne wären. Es macht einfach Spaß, eine Figur, die wir nach unseren Vorlieben gestalten können, durch virtuelle Welten zu bewegen. Doch warum ist das so?

Der Begriff „Avatar“ fasste zuerst Fuß in der Welt der Computerrollenspiele

Das Wort „Avatar“ bezeichnet in der altindischen Sprache Sanskrit die Verkörperung einer Gottheit. Filmfans werden es aus der gleichnamigen Filmreihe von James Cameron kennen. Im digitalen Bereich ist „Avatar“ jedoch schon seit Jahrzehnten ein gängiger Begriff und steht für ein virtuelles Alter Ego.

Das 1979 erschienene Online-Rollenspiel „Avatar“ gilt als erste Erwähnung des Begriffs in Bezug auf simulierte, virtuelle Welten. Allerdings lief das Programm nur auf dem digitalen Lehr- und Lernsystem PLATO. PLATO wurde hauptsächlich an Universitäten und Schulen in den USA und Südafrika eingesetzt und war nicht für Heimcomputer bestimmt.

 

 

Info: Rollenspiele

Rollenspiele sind Computer- oder Videospiele, bei denen die Spielenden in die Rolle eines fiktiven Charakters schlüpfen und mit einer virtuellen Welt interagieren. Charakteristisch für Rollenspiele ist die Möglichkeit, durch gewonnene Kämpfe und gelöste Aufgaben Erfahrungspunkte zu sammeln. Diese werden eingelöst, um die Fähigkeiten der Spielfigur zu verbessern und ihre Charakterwerte (Eigenschaften wie Stärke, Gesundheit, Intelligenz, Schnelligkeit usw.) zu erhöhen.

Darüber hinaus können Spielende für ihre Spielfigur oft eine bestimmte Spezialisierung wählen (Kämpfer, Magier, Dieb etc.). Die Möglichkeit zum Personalisieren der Spielfigur nach eigenen Vorlieben ist somit ein grundlegender Aspekt eines Rollenspiels. Die Wurzeln des Computer-Rollenspiels liegen in Pen-and-Paper-Rollenspielen. Diese ähneln Brettspielen, bei denen eine interaktive Fantasy-Story durchgespielt wird. Dazu wird traditionell darum gewürfelt, ob bestimmte Aktionen im Spiel (Das Öffnen einer Schatztruhe, das Knacken eines Schlosses) Erfolg oder Misserfolg haben.

Die Wurzeln personalisierbarer Avatare reichen Jahrzehnte zurück

Mehr Mainstream-Einfluss hatte die „Ultima“-Rollenspielserie für gängige Heimcomputer und Spielekonsolen der 1980er und 1990er Jahre. Hier wird der Spieler von den Bewohnern der Spielwelt Avatar genannt. Die Aufgabe des Avatars: Die Verteidigung des Fantasy-Reichs Britannia gegen böse Mächte. Die „Ultima“-Reihe brachte es zu hoher Popularität und machte den Begriff „Avatar“ in der gesamten Spielebranche bekannt. Der erste Teil erschien 1981.

Die Personalisierung der Spielfigur ist dabei ein wichtiger Teil der Spielerfahrung. Statt optischer Personalisierung findet diese jedoch im klassischen Rollenspiel-Stil statt. Auch hier besitzt der Avatar Charakterwerte wie Stärke, Geschicklichkeit, Ausdauer, Charisma und Intelligenz. In diese kann der Spieler bei der Charaktergenerierung zu Beginn des Spiels eine festgelegte Anzahl von Punkten verteilen.

Je nachdem, wie Spielerinnen und Spieler bei der Charaktergenerierung vorgehen, erhält die Spielfigur eine andere Spezialisierung und kann die Herausforderungen des Spiels anders meistern. Ein Avatar mit hohem Stärke-Wert kann einen Gegner, der im Weg steht, im Kampf besiegen. Ein Avatar mit einem hohen Intelligenz-Wert kann ihn mit einem Zauberspruch aus dem Weg räumen. Ein Avatar mit einem hohen Charisma-Wert kann den Gegner dazu überreden, ihn kampflos ziehen zu lassen.

Die Weiterentwicklung der Fähigkeiten der Spielfigur als Personalisierung

Wie in einem klassischen Rollenspiel üblich, kann der Avatar seine Fähigkeiten verbessern, wenn er durch besiegte Gegner oder gelöste Rätsel Erfahrungspunkte sammelt. Praktisch alle Teile der „Ultima“-Serie basieren auf diesem Spielprinzip – und zeigen, dass die Möglichkeit zur Weiterentwicklung einer Spielfigur viel Spielspaß bringen kann.

Auch heute noch können clever designte Rollenspiele stundenlang an den Bildschirm fesseln. Der Nachteil: Der Spielablauf ist generell komplex und die Personalisierbarkeit der Spielfigur ist oft mit Spielmechaniken verbunden, die erst aufwendig erlernt werden müssen. Dies kann Gelegenheitsspieler oft überfordern.

Der erste Vorläufer moderner Metaverse-Plattformen erschien 1985

Parallel hierzu entwickelte sich das Konzept digitaler Avatare bereits Mitte der 1980er Jahre in eine weitere Richtung. Diese zeichnete sich dadurch aus, dass sie sich bewusst gegen die komplexen Spielmechaniken von Rollenspielen entschied. 1985 erschien „Habitat“ von Lucasfilm Games für das „Quantum Link“-System, einen Netzwerkdienst für den beliebten Heimcomputer Commodore 64.

Quelle: YouTube / F. Randall Farmer

„Habitat“ ist ein digitaler Chatroom mit Gamification-Elementen und einer umfangreichen, frei erkundbaren 2D-Spielwelt. Das Programm bot dabei erstmals personalisierbare Avatare in einer Online-Welt mit zahlreichen Möglichkeiten, deren optisches Erscheinungsbild nach Lust und Laune zu verändern.

Zugunsten leichter Zugänglichkeit verzichtete „Habitat“ dabei auf Rollenspielelemente. Zudem bot das Programm bereits eine digitale Währung und Belohnungen, mit denen sich weitere Features freischalten ließen. Die personalisierbaren Spielfiguren in „Habitat“ werden explizit Avatare genannt. „Habitat“ lässt sich somit als direkter Vorläufer heutiger Metaverse-Plattformen interpretieren. Aufgrund hoher Kosten für ihren Betrieb wurde die wegweisende Online-Welt in 2D jedoch nach kurzer Zeit wieder eingestellt.

Personalisierbare Avatare in 3D-Welten ließen über eine Dekade auf sich warten

Von den grobpixeligen zweidimensionalen Figuren von „Habitat“ war es jedoch noch ein weiter Weg zu den 3D-Welten moderner Metaverse-Plattformen. In Computer- und Videospielen gehörte es ab den frühen 1990er Jahren allmählich zum guten Ton, die Spielewelt in 3D zu erkunden. Das Erscheinungsbild der agierenden Spielfiguren war jedoch traditionell unveränderlich. Aufgrund der Limitationen der damaligen Computertechnik hätte dies zu viel Speicherplatz verbraucht und zu viel Programmieraufwand vorausgesetzt.

Einige Spiele behalfen sich mit einer Auswahl vorgefertigter Portraitgrafiken. Diese boten immerhin eine rudimentäre Möglichkeit, die agierenden Spielfiguren zu personalisieren. Dieses Feature fand sich primär in Spielen, die aus der Ego-Perspektive dargestellt wurden und in denen die Spielfiguren traditionell nie direkt in der Spielwelt dargestellt wurden.

Quelle: YouTube / Anodizer

Erst der technische Stand zu Beginn der Nullerjahre machte es möglich, Spielcharaktere ganz nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Pioniere waren „Dungeon Siege 2“ (2002) und „Final Fantasy XI“ (2003) – beides Rollenspiele. Vor allem „Dungeon Siege 2“ ermöglichte es, starken Einfluss auf die optische Gestaltung der Figuren zu nehmen.

Im Jahr 2003 ging die virtuelle 3D-Welt „Second Life“ online, die als eine der ersten Metaverse-Plattformen überhaupt gilt. „Second Life“ setzte von Anfang an auf große Freiheiten bei der Gestaltung der Avatare und wirkte auf alle nachfolgenden Metaverse-Plattformen prägend. In den Mainstream schaffte es „Second Life“ jedoch nie.

Die Wii-Konsole von Nintendo brachte Avatare ins Wohnzimmer

Als 2006 die Wii-Konsole von Nintendo erschien, hatte der japanische Videospielhersteller die Zeichen der Zeit erkannt. Als Bestandteil der Systemsoftware wurde das „Mii“-Feature mitgeliefert. Dieses erlaubte den Nutzerinnen und Nutzern der Spielekonsole, mit simplen, einfach zu bedienenden Mitteln comicartige 3D-Avatare zu erstellen.

Diese Avatare wurden auf dem Systemspeicher der Konsole abgelegt. Kompatible Spielesoftware war in der Lage, diese aus der Konsole auszulesen und in die Spielwelt zu integrieren. Personalisierte Avatare sind seitdem Standard auf Spielekonsolen und Online-3D-Plattformen. Der personalisierbare Avatar war im Mainstream angekommen.

Personalisierbare Avatare können uns ans Herz wachsen

Ein gewichtiger Teil dessen, was personalisierbare Avatare zu einem großen Spaßfaktor macht, scheint somit die Zeit zu sein, die wir in ihre Gestaltung und Weiterentwicklung investieren. Wir gewöhnen uns allmählich daran, dass sie uns begleiten – und binden uns somit an sie und an die virtuelle Welt.

Das sagen Psychologen

Laut Nick Yee, einem ehemaligen Forscher am Palo Alto Research Center in Kalifornien, sind Avatare eine Möglichkeit, ideale Versionen von sich selbst zu erschaffen. Dabei verändern Nutzerinnen und Nutzer an ihrem digitalen Abbild vor allem das, was ihnen an sich selbst nicht gefällt, so Yee.

Inwieweit eine Person das Aussehen ihres Avatars an gängige Schönheitsideale anpasst, hängt laut Yee vor allem vom persönlichen Selbstwertgefühl ab. Je geringer dieses ist, desto größer kann die Diskrepanz zwischen unserem Aussehen und unserem Avatar ausfallen. Wer hingegen ein hohes Selbstwertgefühl hat, ist eher bereit, seine Schwächen zu akzeptieren – und wird diese auch in die Gestaltung seines Avatars einfließen lassen.

Yee stellte zudem ein Phänomen fest, das er als den Proteus-Effekt bezeichnet. Laut Yee kann es durchaus vorkommen, dass sich unser Verhalten ändert, wenn uns ein Avatar zugewiesen wird, der uns überhaupt nicht ähnelt. „Nutzer und Nutzerinnen passen sich dann dem stereotypen Verhalten eines solchen Avatars an“, so Yee.

Manchen Nutzern ist die Optik am wichtigsten

Warum manche Nutzerinnen und Nutzer Avatare wählen, die ihnen überhaupt nicht ähnlich sehen, ist jedoch unzureichend erforscht. Dr. Mark Coulson, Psychologieprofessor an der Middlesex University in England, fand immerhin heraus, dass Männer sich häufiger weibliche Avatare gestalten als umgekehrt. Coulson kam zu dem Entschluss, dass es dafür vor allem ästhetische Gründe gibt.

Welt der Wunder - Die App

Kostenfrei
Ansehen