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Foto: Pressestelle BfV

Verfassungsschutz: Aufgaben und Fehler des Inlandsnachrichtendienstes

Der Verfassungsschutz wird seit Jahren kritisiert, seine Aufgaben nicht zu erfüllen: Extremismus und Terrorismus in Deutschland nahmen zu.

Der Schutz der Verfassung: Die Aufgabenbeschreibung trägt das Bundesamt für Verfassungsschutz im Namen. Terroristische Attentate und extremistische Gewalttaten der vergangenen Jahre lassen Fragen aufkommen.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ist einer von drei Nachrichtendiensten in Deutschland. Mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) bildet der BfV den Staatsschutz. 

Der Verfassungsschutz wird häufig als Inlandsgeheimdienst bezeichnet – ist er aber nicht. Zwar arbeitet der Inlandsnachrichtendienst teilweise verdeckt, um an Informationen zum Schutz der Verfassung, zur Spionageabwehr und zur Bekämpfung von rechtem, islamistischem und linkem Terrorismus zu gelangen. Allerdings hat der Verfassungsschutz keine exekutiven Befugnisse – das bedeutet, er darf nicht eingreifen. Erkenntnisse aus Ermittlungen gibt der Verfassungsschutz an ausführende Organe wie das Bundeskriminalamt (BKA) weiter. Geheimdienste, wie wir sie aus Agentenfilmen kennen, gibt es aus historischen Gründen in Deutschland nicht.

Warum der Verfassungsschutz keine Vollzugsbefugnisse hat

Während der Nazizeit von 1933 bis 1945 überwachte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) die Geschehnisse im Inland. Ihre Aufgabe im NS-Regime: Die Bekämpfung politischer Gegner, zu denen alle Personengruppen zählten, die nicht der Ideologie der Nazis entsprachen. Die weitreichenden Machtbefugnisse ermöglichten es der Gestapo, Menschen aufgrund von Missfallen festzunehmen und unter anderem brutale Foltermethoden anzuwenden. Die Nürnberger Prozesse erklärten die Geheime Staatspolizei zur verbrecherischen Organisation. Sie gilt als mit hauptverantwortlich für den Holocaust und Porajmos – der Völkermorde an Juden und Roma. 

Damit sich Gräueltaten dieser Art nicht wiederholen, setzt Deutschland auf Gewaltenteilung – auch beim Verfassungsschutz. Das Bundesamt hat zwei Hauptsitze: Köln und Berlin. Zudem gibt es für jedes Bundesland eine eigene Landesbehörde. Die 16 Behörden agieren eigenständig und sind dem BfV nicht weisungsgebunden.Das bringt auch Nachteile. 

Behindert der Föderalismus den Verfassungsschutz?

Insbesondere in der jüngeren Vergangenheit, Ende der 1990er Jahre bis heute, wirkte der Verfassungsschutz mit all seinen Organen, Abteilungen, Ämtern und Behörden desorganisiert und verfangen in alten Strukturen. Dass terroristische Taten wie in  Halle und Hanau, die Morde des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) sowie der islamistisch-terroristische Anschlag auf den Breitscheidplatz in Berlin 2016 stattfinden konnten, wird dem BfV zur Last gelegt. Die einzelnen Behörden hätten Zuständigkeiten von sich gewiesen und gleichzeitig nicht untereinander kommuniziert, heißt es. Ein weiteres Beispiel war die Beobachtung der NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands): Zu viele V-Leute der unterschiedlichen Behörden bekleideten hohe Parteiämter, sodass die Erkenntnisse nicht mehr aussagekräftig waren. Ermittlungsmethoden, beispielsweise durch V-Leute, standen daraufhin als ineffizient und undurchschaubar in der Kritik.

V-Leute beim Verfassungsschutz: Vertrauen, Verbindung, Verrat?

Sogenannte Vertrauensleute, kurz V-Leute, sind Mitglieder einer Szene, die durch den Verfassungsschutz als Spitzel angeworben werden. Sie sollen gegen Bezahlung Insider-Informationen aus erster Hand liefern, damit Machenschaften durchblickt und Beweise gesammelt werden können. Je vernetzter die Personen sind, desto relevanter sind ihre Einblicke. Akzeptanz und Aufstieg in extremen Milieus gehen meist mit Kriminalität und Gewalt einher, sodass sich geheime Kontaktpersonen unter dem Deckmantel des Verfassungsschutzes an Straftaten beteiligen oder solche gar organisieren. Auch von finanzieller Beteiligung ist die Rede. Kritische Stimmen stellen in Frage, wie vertrauenswürdig Vertrauenspersonen aus kriminellen Kreisen sein können. Insbesondere, wenn finanzielle Vergütung und Schutz vor Strafverfolgung Teil des Deals sind.

EIne Hauswandecke mit Überwachungskameras in zwei Richtungen, symbolisiert die Beobachtung durch den Verfassungsschutz

olegbreslavtsev / Envato

Observation ist eines der nachrichtendienstlichen Mittel zur Aufklärungsarbeit. (Symbolbild)

Für den Verfassungsschutz stellen V-Personen jedoch ein unverzichtbares Instrument in der Aufklärungsarbeit dar. Nach eigenen Angaben des BfV machen die nachrichtendienstlichen Mittel, zu denen der Austausch mit V-Leuten zählt, gerade einmal 20 Prozent ihrer Quellen aus. 80 Prozent ihrer Aufklärungsarbeit und Informationsbeschaffung liefe demnach über freizugängliche Quellen wie Flyer und andere Druckerzeugnisse, digitale Medien und Plattformen sowie öffentliche Veranstaltungen. Für nachrichtendienstliche Methoden müssen zudem hinreichende Gründe vorliegen. Beim Einsatz von V-Leuten, der Überwachung von Briefen, Post und Telefon sowie die Beobachtung der Internetaktivitäten greift der Verfassungsschutz in Grundrechte ein. Welche Umstände diese Mittel rechtfertigen, ist daher im Verfassungsschutzgesetz geregelt. Ob die Voraussetzungen gegeben sind, wird im Einzelfall geprüft.

Verdachtsfall AfD: BfV sammelt Informationen zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen

So auch bei der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Die Partei sowie ihre Jugendorganisation Junge Alternative für Deutschland (JA) gelten als Verdachtsfall, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu verfolgen. Nachdem 2020 bekannt wurde, dass der Verfassungsschutz V-Leute anwirbt, versuchte die Partei die Unterlassung der Beobachtung einzuklagen. Das Verwaltungsgericht Köln wies das mit einem Urteil im März 2022 jedoch ab.

Es gebe ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei, begründete das Gericht sein Urteil. Außerdem teilt das BfV in einer Pressemeldung mit: „Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die Einstufung als Verdachtsfall auch öffentlich mitteilen, um eine politische Auseinandersetzung zu ermöglichen.“

Rechtsextremismus in Deutschland: Sieht der Verfassungsschutz hin?

Die Defizite im Kampf gegen Rechtextremismus wurden in der Vergangenheit immer offensichtlicher mit verheerenden Folgen. Das Organ sei auf dem rechten Auge blind, hieß es immer wieder. Personalbesetzungen wie die des ehemaligen Präsidenten des BfV Hans-Georg Maaßen (2012 bis 2018) untermauerten die vermuteten Missstände.

Hinzu kamen Zuständigkeitsfragen von mehreren Landesbehörden und dem Bundesamt, die es den Rechten ermöglichte, ein bundesweites Netzwerk aufzubauen: „Wir beobachten eine neue Dynamik im Bereich des Rechtsextremismus. Sicherheitsbehörden sehen sich dabei neben den alten Strukturen auch mit ganz neuen Formen wie rechten Netzwerken im Internet oder sich selbst radikalisierenden Einzeltätern konfrontiert“, heißt es vom derzeitigen Präsidenten des BfV, Thomas Haldewang.

In Thüringen ist die Szene derart stark vertreten, dass sie ihre Ideologie regelmäßig bei Konzerten offen zur Schau stellt: Verfassungsfeindliche Liedtexte und Äußerungen sowie Gebärden aus der NS-Zeit gehören zum Programm. Auf der Internetseite des Verfassungsschutz Thüringen heißt es: „Die größte Bedrohung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Thüringen geht weiterhin vom Rechtsextremismus aus.“

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