Viele indigene Völker sind in ihren angestammten Siedlungsgebieten bedroht, etwa durch die Abholzung der Regenwälder oder den rücksichtslosen Abbau von Bodenschätzen. Dabei verfügen sie über einen enormen Wissensschatz, um in freier Natur zu überleben, der uns längst verloren gegangen ist.

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Die meisten indigenen Völker sind mit dem Verhalten von einheimischen Tieren eng vertraut. Pygmäen-Männer (Bild) sind so gekonnte Mimen, dass sie den Ruf einer Antilope in Gefahr nachahmen können, um andere anzulocken. Ähnlich ist es bei Jägern in Sibirien, die den Ruf eines Rentierkalbes auf der Suche nach seiner Mutter oder den Brunstruf eines männlichen Tieres imitieren können.
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Im Regenwald von Borneo nutzen Penan-Männer Blasrohre aus Hartholz und Pfeile, die in tajemgetaucht sind – ein Gift aus dem milchigen Latex eines Baumes. Mit den Giftpfeilen gehen sie auf Wildschweinjagd, das Gift greift die Herzfunktion der Tiere an.
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Bis zu den 1960er Jahren lebten die Penan als Nomaden. Wenn sie unterwegs waren, kommunizierten die unterschiedlichen Gruppen über ein komplexes und faszinierendes System aus Stöcken und Blättern, das sie oroo nennen. Oroo übermittelt Botschaften wie „der Person, die hier vorbeikam, ging es nicht gut“ oder „die Person, die hier vorbeikam, war hungrig“.
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Die Moken, die Seenomaden des Andamanischen Meeres, haben die einzigartige Fähigkeit entwickelt unter Wasser scharf zu sehen. Das erleichtert auch die Nahrungssuche am Meeresboden. Ihre Sicht ist 50 Prozent schärfer als die von Europäern.
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Das mündlich überlieferte Wissen der Moken über das Meer, den Wind und den Mondzyklus ist riesig. Eine ihrer Geschichten erzählt von la-boon – der Welle, die Menschen frisst. Die Legende besagt, dass das Meer sich zurückzieht kurz bevor la-boon naht. Als sich beim Tsunami 2004 das Meer zurückzog, erkannten die Ältesten eines Moken-Dorfes in Thailand die Gefahr und führten ihre Gemeinschaft und Touristen sicher in höher gelegenes Gebiet.
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Viele indigene Völker verfügen über ein geradezu enzyklopädisches Wissen über einheimische Tiere. Die Wichí in Argentinien fangen Fische, indem sie auf kleinste Wellen an der Wasseroberfläche der Flüsse achten.
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Die Bogensehnen der Hadza aus Tansania werden aus den Bändern von Tieren gefertigt, während die Pfeile sorgsam aus Kongoroko-Holz geschnitzt und mit den Federn von Perlhühnern verziert werden. Die Pfeilspitzen werden mit einem Gift aus dem Saft der Wüstenrose benetzt.
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Die Hadza und der Honiganzeiger – ein Vogel, der die Menschen zu wilden Bienenstöcken führt – profitieren beide von ihrer Beziehung zueinander. Der Vogel ruft den Jäger, der ihm wiederum antwortet. So flattert der Honiganzeiger von Baum zu Baum, wartet, dass der Jäger aufschließt und führt ihn somit zu den Bienenstöcken, die oft hoch in den Ästen uralter Affenbrotbäume hängen.
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Mit den Jahren haben viele indigene Völker ausgefeilte und ganzheitliche Gesundheitssysteme entwickelt. So wird die Rinde von Kopal-Pflanzen gegen Augeninfektionen eingesetzt, Katzenkralle gegen Durchfall. Das Einatmen der Aromen zerdrückter Blätter soll Erkältungen und Übelkeit lindern. Das Gift Curare, das Yanomami-Jäger lange auf die Spitzen ihrer Pfeile auftragen haben, um ihre Beute zu lähmen, hat sich die westliche Medizin als Mittel zur Muskelentspannung zueigen gemacht.
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Rentierfleisch ist der wichtigste Bestandteil der Ernährung der Nenzen. Es wird roh, gefroren oder gekocht verzehrt. Dazu wird auch das Blut eines gerade geschlachteten Tieres getrunken, denn es ist reich an Vitaminen. Der Fettgehalt von Rentiermilch liegt bei 22 Prozent und ist bis zu sechsmal höher als der von Kuhmilch.
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Die Buschleute in Botswana kauen auf dem Fruchtfleisch einer Melone, um an die Flüssigkeit zu gelangen. Traditionell fanden die Buschleute Wasser in „Pfannen“ – mit Regenwasser gefüllte Gruben im Sand – und in Wurzeln und Pflanzen wie der Tsamma-Melone. Diese Techniken entwickelten sie über Jahrtausende, um in der Trockenzeit, wenn die Wasserstellen in der Kalahari sich in Staub auflösen, in der Wüste überleben zu können.
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Seit den 1970er Jahren wird das angestammte Gebiet der Penan von Bulldozern planiert, niedergebrannt und für großflächige Abholzung, Palmölplantagen, Gaspipelines und Staudämme zerstört. Der Wald der Awá, einem nomadisches Volk in Brasilien, wird illegal gerodet und sie sind zum am stärksten bedrohten Volk der Welt geworden. Sie kämpfen gegen die Ausrottung durch gewaltsame Angriffe und den Diebstahl ihres Landes.
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Ihre anspruchsvollen Techniken bei der Jagd, beim Spurenlesen, Ackerbau oder bei der Navigation ermöglichen den indigenen Völkern ein autarkes Leben fernab unserer dicht besiedelten städtischen Gebiete. Sie verfügen auch heute noch über zahllose Fähigkeiten, die uns zivilisierten Menschen längst verloren gegangen sind.
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Über Jahrtausende haben sie durch genaues Beobachten gelernt Wild zu jagen, Wurzeln und Beeren zu sammeln, Veränderungen im Klima wahrzunehmen, die Bewegung der Eisschichten, die Rückkehr der Zugvögel oder die Blütezeit der Fruchtbäume vorherzusagen: Durch die enge Verflechtung mit ihrer Umwelt haben viele indigene Völker ein ausgeprägtes Gespür für die feinen Hinweise der Natur entwickelt. Doch viele Ureinwohner sind in ihren traditionellen Gebieten bedroht, durch den Raubbau der modernen Menschen an Land und Natur.
Jagd, Spurenlesen und Navigation
Ihre anspruchsvollen Techniken bei der Jagd, beim Spurenlesen, Ackerbau und bei der Navigation sind die genialen Antworten indigener Völker auf die Herausforderungen unterschiedlicher, oft feindlicher, Umgebungen. Die Entwicklung ihrer feinen Beobachtungsgabe und Fähigkeiten ist nicht nur ein Beleg für die Kreativität des Menschen und seine außergewöhnliche Fähigkeit sich anzupassen. Sie garantiert auch, dass indigene Völker, die auf ihrem angestammten Land leben und die seit Generationen weiter
gegebenen Techniken einsetzen können, ein typischerweise gesundes, autarkes und glückliches Leben führen.
gegebenen Techniken einsetzen können, ein typischerweise gesundes, autarkes und glückliches Leben führen.
Viele indigene Völker wissen vielleicht noch immer besser als die meisten Menschen, dass die zerbrechliche Balance zwischen Mensch und Natur nur über Jahrtausende gewahrt wurde, weil man ihre Grenzen respektierte. Es scheint auch kein Zufall, dass viele der biologisch vielfältigsten Regionen der Erde von indigenen Völkern bewohnt sind. So hinterlassen etwa die Awá kaum andere Spuren als aufgewühlte Lianenblätter und Markierungen an Baumstämmen, wenn sie im Wald unterwegs sind. Das Gift, mit dem die Yanomami fischen, zersetzt sich rasend schnell im Wasser und hinterlässt keine Verunreinigung. Die Innu heben die Knochen getöteter Rentiere auf und hängen die Geweihe hoch in die Bäume, um den Tieren Respekt zu zollen.
Wertvolles Menschheitswissen
Verantwortung und Wechselseitigkeit sind Grundvoraussetzungen für das Überleben: Mehr zu nehmen als gebraucht wird oder die Erde auszulaugen, ist selbstzerstörerisch. Doch ohne die Rechte an ihrem angestammten Land, für die sich die internationale Menschenrechtsorganisation Survival International seit 1969 einsetzt, werden indigene Völker nicht überleben. Die Organisation will mit ihrer Arbeit indigene Völker dabei unterstützen, ihr Leben zu verteidigen, ihr Land zu schützen und ihre Zukunft selbst zu bestimmen. So soll auch sichergestellt werden, dass die außergewöhnlichen Fähigkeiten und das wertvolle Wissen indigener Völker, heute relevanter denn je, nicht verloren gehen.
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