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Das Metaverse als Oase für virtuelle Entspannung?

Foto: Envato / Unai82

Das Metaverse als Oase für virtuelle Entspannung?

Das Internet, wie wir es kennen, ist vieles. Aber entspannend ist es kaum. Selbst wenn wir Artikel lesen oder Videos anschauen, buhlen blinkende Werbebanner und hektische Videowerbung um unsere Aufmerksamkeit. Das Metaverse könnte Abhilfe schaffen und virtuelle Entspannung einfacher denn je machen.

Funktioniert Entspannung in einem virtuellen Wald? Forscher sagen ja

In einer kürzlich veröffentlichten Studie haben tschechische Forscher die japanische Tradition des Waldbadens untersucht. Waldbaden (Shinrin-yoku) steht für die positive Wirkung, die ausgedehnte Waldspaziergänge auf unsere Psyche haben können. Das Problem: Da immer mehr Menschen in städtischen Gebieten leben, sind Wälder in unserem hektischen Alltag immer schwerer zu erreichen.

Dieses strukturelle Problem rief vergangenes Jahr Forscher der tschechischen Universität für Biowissenschaften auf den Plan. Sie untersuchten, ob nachgebildete virtuelle Wälder ähnliche physiologische Reaktionen auslösen können wie reale Wälder. Das Ergebnis war verblüffend.

Die Probanden empfanden kaum einen Unterschied zwischen realem und virtuellem Waldbaden

Die Forscher erstellten dazu einen virtuellen Wald in Unreal Engine, einer ursprünglich aus der Spielebranche stammenden Software zur Erstellung interaktiver 3D-Welten. Dafür nutzten sie LiDAR-Daten, die sie in einem Waldstück in der Nähe von Prag gesammelt hatten. Ergänzend dazu erstellten die Forscher dort Tonaufnahmen, die sie beim digitalen Waldbaden im Hintergrund ablaufen ließen. Das Ergebnis war ein überzeugender digitaler Zwilling des in der Natur existierenden Originals.

Die Testpersonen der Studie verbrachten zuerst eine halbe Stunde mit Waldbaden im wirklichen Leben. Anschließend erkundeten sie mithilfe eines Virtual-Reality-Headsets 30 Minuten lang den digitalen Zwilling des Waldstücks nahe Prag. Das Resultat: Die Probanden fanden beide Erfahrungen praktisch gleich entspannend. Und das, obwohl sie sich bewusst waren, dass der in 3D nachgebildete Wald nicht real war.

Inzwischen sind in Unreal Engine nahezu fotorealistische Waldumgebungen möglich:

Quelle: YouTube / hodilton

Entspannung dank Gamification

Eine Gruppe von Wissenschaftlern der Technischen Universität Petronas in Malaysia führte ebenfalls eine Studie über virtuelles Waldbaden durch. Hierbei wurde die virtuelle Erfahrung zusätzlich mit spielerischen Elementen kombiniert. Dieses Prinzip wird in der Technologiebranche Gamification genannt.

Die Forscher entwickelten spielerische Aufgaben für die Teilnehmer, die diese während ihres Aufenthalts in der virtuellen Waldumgebung lösen mussten. Dazu gehörten Fotografieren, das Sammeln von Gegenständen und ein einfaches Fitnessprogramm. Die Teilnehmer berichteten, dass sich ihr psychisches Wohlbefinden nach dem Lösen der Aufgaben verbesserte. Negative Emotionen wie Niedergeschlagenheit, Ärger und Müdigkeit nahmen deutlich ab.

Virtuelle Entspannung kommt auch ohne Virtual Reality aus

Ein entscheidender Unterschied zu der Studie aus Tschechien: Die Spiele-App zum virtuellen Waldbaden aus Malaysia war nicht als VR-Erfahrung konzipiert worden. Stattdessen konnte sie an einem gewöhnlichen Computerbildschirm gespielt werden. Zudem wurde der virtuelle Wald nicht anhand von LiDAR-Aufnahmen, sondern von Hand durch einen 3D-Designer erstellt. Das wirft die Frage auf, ob Gamification-Elemente generell für einen hohen Entspannungsfaktor sorgen.

Wirken Spiele und Gamification generell entspannend?

Spiele für Computer, Spielekonsolen und mobile Geräte sind der Ursprung des Gamification-Trends. Spielefans begründen ihre Vorliebe dabei häufig wie folgt: Computer- und Videospiele machen Spaß und wirken deshalb entspannend.

Kurioserweise scheinen die Spiele, die den Markt dominieren, auf den ersten Blick wenig mit klassischer Entspannung zu tun zu haben. Millionenseller wie „Fortnite“ oder „Grand Theft Auto IV“ bieten auf den ersten Blick vor allem harte und schnelle Action. Auch die meisten populären Puzzle- und Geschicklichkeitsspiele – wie auch der Klassiker „Tetris“ – setzen auf Zeitdruck. Ist der Spieler zu langsam, wird er mit einem „Game Over“ bestraft.

Bei Computer- und Videospielen kann sich schnell Frust einstellen

Daraus lässt sich schließen, dass die meisten derzeit erhältlichen Spiele durch Ablenkung entspannen. Das Problem: Solche Spiele belohnen in der Regel Vielspieler, die sich mit den Mechanismen vertraut gemacht haben, bis sie ein „Game Over“ so weit wie möglich hinauszögern können.

Haben Spielerinnen und Spieler nicht die Geduld – oder die Zeit – dafür, kann sich schnell Frustration einstellen. Spiele ohne jeden Zeitdruck, bei denen es in erster Linie um Entspannung geht, scheinen derzeit Seltenheitswert zu haben.

Zwar gibt es inzwischen einige Versuche, Entspannungsspiele mit meditativem Spielablauf auf dem Markt zu etablieren. Doch nur wenige von ihnen haben es bisher zum Millionenseller geschafft – wie etwa das 2017 erschienene „Abzu“, in dem der Spieler nach Belieben und ohne Zeitdruck eine Unterwasserwelt erkundet. Das 2007 veröffentlichte „Endless Ocean“ für die Nintendo Wii bot eine ähnliche Erfahrung, avancierte jedoch bestenfalls zum Achtungserfolg.

Quelle: YouTube / Jack Afterlife

Etliche Elemente klassischer Spiele sind Stressfaktoren für Unerfahrene

Zahlreiche Spiele wirken zudem nur dann entspannend, wenn der Spieler bereits Erfahrung mit Computer- und Videospielen gesammelt hat. Einige als entspannend beworbene Bestseller wie „Minecraft“, „Journey“ und „Stardew Valley“ sind sehr klassische Spielerlebnisse, bei denen Gegner besiegt, Geschicklichkeitstests absolviert und Ressourcen im Spiel verwaltet werden müssen.

Auch Adventure-Spiele werden oft als entspannend beschrieben. Hier fehlen in der Regel hektische Geschicklichkeitstests – im Vordergrund stehen jedoch zu lösende Rätsel, lange gesprochene Dialoge und Story-Sequenzen. Wer einfach nur entspannende Welten erkunden möchte, anstatt sich berieseln zu lassen, wird auch hier schnell entnervt aufgeben.

Spiele mit dem Schwerpunkt auf Entspannung scheinen sich auf dem Spielemarkt nicht durchzusetzen

Spiele mit sehr niedrigem Schwierigkeitsgrad wie den Amateur-Flugsimulator „Pilotwings“ (1990) für Super NES gibt es schon seit Jahrzehnten. Gleiches gilt für eher meditative Spiele wie „LSD: Dream Emulator“ (1996) für Playstation 1 und das Rhythmus-Spiel „Rez“ (2002) für Dreamcast. Doch die meisten von ihnen haben es bestenfalls zum Geheimtipp für Kenner geschafft.

Ein wichtiger Grund dafür ist die nach wie vor starke Voreingenommenheit der Spielepresse. Auch heute noch verleihen Redakteure in der Spielebranche in der Regel nur Bestnoten für Spiele mit hoher Komplexität, möglichst vielen Features und mittlerem bis hohem Schwierigkeitsgrad. Entspannungsspiele, die bewusst das genaue Gegenteil bieten, haben auch heute noch kaum eine Chance, Kritikerlieblinge zu werden.

Quelle: YouTube / Gabbaro Figglewitts

Das Metaverse als Medium für Entspannung in 3D

Spiele, in denen es primär um Entspannung geht, haben somit auf dem internationalen Markt bis heute einen schweren Stand. Qualitativ hochwertige Exemplare gibt es daher nur sehr wenige.

Die Lösung könnten spezielle Entspannungsbereiche im Metaverse sein. Ähnlich wie die Waldbaden-Erfahrung der malaysischen Forscher könnten diese auch Gamification-Elemente verwenden, die sich bewusst von Altlasten klassischer Spielabläufe entfernen. Solche Entspannungsräume könnten explizit von der übrigen Infrastruktur im Metaverse getrennt sein, um eine maximale Erholungserfahrung zu ermöglichen. Mindestens drei Modelle wären denkbar:

Virtuelle Relax-Areas

Realistisch nachgebildete, idyllische 3D-Landschaften. Denkbar sind Wälder, Strände, Felder, Gebirgszüge und vieles mehr. Das einzige Ziel: Sich frei bewegen und den Blick über die realistische Landschaft schweifen lassen. Aufgaben oder Missionen gibt es keine – außer der Suche nach möglichst viel Entspannung. Wer die konsequente Einsamkeit bevorzugt, kann andere Avatare ausblenden. Je nach Gebiet wäre auch die Fortbewegung mit virtuellen Fahrzeugen – vom virtuellen Fahrrad bis zum virtuellen Paraglider – möglich.

Virtuelle Adventure-Areas

Hier werden frei erkundbare 3D-Welten mit Missionen und Aufgaben kombiniert. Im Gegensatz zu klassischen Adventure-Spielen stehen jedoch keine epischen Geschichten im Vordergrund. Vielmehr basieren die Missionen und Aufgaben darauf, dass der Nutzer mit der 3D-Welt interagiert und diese kennenlernt. Dabei kann es sich um die Bestimmung spezieller Pflanzen, Gesteine oder anderer Landschaftsmerkmale handeln. Auch virtuelles Geocaching ist denkbar.

Virtuelle Dream-Areas

Hier wird der Nutzer in eine zufällig ausgewählte 3D-Landschaft (Wald, Wiese, Strand, Küste etc.) versetzt, die er wieder frei erkunden kann. Nach einer zufällig gewählten Zeitspanne verschwindet die aktuelle Umgebung und der Nutzer wird in eine neue, zufällig ausgewählte Landschaft versetzt. Auch zufällig über die Landschaft verteilte Portale können den Nutzer in neue Bereiche führen. Dadurch entsteht ein traumähnliches Gefühl. Der Benutzer weiß nie, was ihn als nächstes erwartet. Für Unentschlossene oder besonders gestresste Menschen dürfte hier ein großes Potenzial für Ablenkung und Entspannung liegen.

Wird das Metaverse unser neuer Entspannungsraum?

Einerseits bietet der technische Fortschritt immer ausgefeiltere Möglichkeiten, virtuelle Entspannung zu erleben. Andererseits haben virtuelle Erholungserlebnisse auf traditionellen Computer- und Konsolenplattformen nach wie vor ein Akzeptanzproblem.

Als Nachfolger der traditionellen Online-Welt ist das Metaverse jedoch unbelastet von klassischen Traditionen und Erwartungen. Mit seinem Fokus auf frei erkundbare, interaktive 3D-Welten hat das Metaverse daher durchaus das Potenzial, sich als führende Plattform für virtuelles Relaxen zu etablieren – und dem virtuellen Relaxen in 3D einen immensen Popularitätsschub zu verleihen.

Ob die Mehrheit der Metaverse-Nutzer einfach nur entspannen, Abenteuer erleben oder träumen will, wird die Zukunft zeigen.

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