Cum-Ex-Geschäfte sind illegale Aktiendeals, die auf Kosten des Staats gehen
Anstatt die Auszahlung des Geldes zu bewilligen, bittet sie den Fond um weitere Informationen – und löst damit ein globales Erdbeben in der Finanzbranche aus. Sie ahnt nicht, dass sie gerade ein streng geheimes Verbrechersyndikat aufgedeckt hat, das sie schon wenig später ins Fadenkreuz nimmt. Denn plötzlich meldet sich eine deutsche Anwaltskanzlei und versucht sie einzuschüchtern. Eine Amtshaftungsklage wird eingereicht. Die Anwälte drohen sogar, Anna S. persönlich zu belangen, wenn sie das Geld nicht auszahlt.
Doch Anna S. lässt sich nicht einschüchtern. Sie gräbt weiter, informiert Kollegen, stößt auf Steuerbetrugsgebilde (sogenannte „Cum-Ex- Systeme“). Und tatsächlich fliegt alles auf. Von Cum-Ex- oder Cum-Cum-Geschäften sprechen Experten, wenn Banker, Anlagenberater oder Börsenhändler den Staat mithilfe komplexer Verschleierungsmethoden dazu bringen, einmal gezahlte Steuern, doppelt oder mehrfach zurückzuerstatten. Obwohl diese Praxis seit 1992 bekannt ist, kann sich die Cum-Ex-Mafia, die ihre Leute praktisch in allen Banken Europas sitzen hat, fast 20 Jahre im großen Stil an den Steuertöpfen bedienen.
Über 30 Milliarden Euro in 15 Jahren
Vorsichtige Schätzungen der Bonner Steuerfahnder zeigen heute, dass allein zwischen 2001 und 2016 den deutschen Steuerzahlern rund 32 Milliarden Euro gestohlen wurden (europaweit 55 Milliarden Euro). „Tatsächlich handelt es sich um den größten Steuerraub in der Geschichte Europas“, sagt Steuerprofessor Christoph Spengel von der Uni Mannheim. Derzeit wird gegen 100 Banken ermittelt, darunter auch Landesbanken und Bankhäuser, die während der Eurokrise mit Steuermilliarden gerettet wurden.
Erst 2012, als der öffentliche Druck immer größer wird, entscheidet sich die Regierung, jene Gesetzlücken, die Cum-Ex-Geschäfte technisch überhaupt möglich machen, zu schließen. Obwohl die meisten Täter in Nadelstreifenanzügen bekannt sind (ebenso wie die Adressen der verwickelten Banken), wurde bis heute niemand für diesen Raubzug verurteilt.
Die Konsequenzen für den internationalen Finanzsektor
Die Aufdeckung der Cum-Ex-Geschäfte hat weitreichende Folgen für die Finanzwelt. Es sind nicht nur Milliarden Euro an Steuergeldern verloren gegangen, sondern auch das Vertrauen in das Finanzsystem wurde nachhaltig erschüttert. Die Tatsache, dass hochrangige Banker und Anwälte in diese Machenschaften verwickelt sind, zeigt, wie tief die Korruption in der Finanzbranche verwurzelt ist.
Es bleibt abzuwarten, ob die laufenden Ermittlungen und Gerichtsverfahren zur Aufklärung und Bestrafung der Verantwortlichen führen werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die internationale Dimension der Cum-Ex-Geschäfte. Da diese Geschäfte nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa stattgefunden haben, ist eine enge Zusammenarbeit der europäischen Behörden notwendig, um alle Täter zur Rechenschaft zu ziehen.