Welt der Wunder

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In Europa wird das Wasser knapp. Über die Folgen der Dürre spricht Welt der Wunder mit einem Experten.

Foto: Envato / ABBPhoto

Wasserknappheit in Europa wird extremer: Hitze, Dürre, Trockenheit

Dürre in Europa: Italien ruft den Wassernotstand aus. Frankreich untersagt das Zähneputzen. Extreme Trockenheit und Hitze werden das Leben in Europa künftig umgestalten. Wie diese Veränderung aussieht, erklärt ein Experte.

Leben wie Gott in Frankreich, La Dolce Vita, gutes Essen und guter Wein: Der Genuss ist fester Bestandteil der französischen sowie der italienischen Kultur. Auch deshalb zählen sie zu Deutschlands beliebtesten Reisezielen. Ausgerechnet mit dem Start zu Deutschlands Feriensaison ruft Italien den Dürrenotstand aus. Es herrscht Wasserknappheit. Von Juli 2022 bis Ende des Jahres soll die Ausnahmesituation anhalten. Mindestens.

In Südfrankreich hatte wenige Wochen zuvor ein Dorf das tägliche Zähneputzen reguliert. Weil die Quelle zur Trinkwasserversorgung der Gemeinde Villars-sur-Var zu versiegen droht, wurde in dem Dorf nördlich von Nizza der Wasserhahn zugedreht. Zähneputzen, Kochen und Trinken mit Leitungswasser ist seitdem untersagt. Weitere Gemeinden in Südfrankreich müssen gleichziehen: Zwei Liter pro Kopf und pro Tag verteilt die Bürgermeisterin von Bargemon an die Bewohnerinnen und Bewohner. Auch sie müssen Leitungswasser sparen.

Trockenheit wird extremer

Hitze und Trockenheit sind im Süden Europas nicht ungewöhnlich. Bemerkenswert ist allerdings, dass die hohen Temperaturen früher auftreten, länger bleiben und heißer werden. Dass sich Wetterereignisse zu Wetterextremen entwickeln, ist für Fachleute kaum verwunderlich: „Der Klimawandel ist im vollen Gange und wir haben bereits eine Erwärmung um rund ein bis zwei Grad Celsius realisiert. Das ist schon spürbar“, erklärt Dr. Karsten Rinke vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Er ist Biologe und leitet das Department Seenforschung in Magdeburg. Mit einem Team aus Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachbereiche beschäftigt sich Rinke unter anderem mit Managementstrategien für den Umgang mit Nutzungskonflikten oder neuartigen Gewässerbelastungen.

„Zusammenfassend betrachtet, werden durch den Klimawandel bereits trockene Regionen noch trockener und die feuchteren noch feuchter.“ Die seit Jahrzehnten prophezeiten Konsequenzen der globalen Erwärmung spüren westliche Industriestaaten nun zunehmend auch im eigenen Land. Die Auswirkung auf nationale und internationale Klimapolitik bleibt abzuwarten.

Aussichten für Mitteleuropa sind „mies“

Eine untersagte Mundhygiene mag im ersten Moment absurd erscheinen. Tatsächlich gibt die Maßnahme einen Ausblick auf die weitreichenden Folgen einer zunehmenden Dürre. Im Interview mit Welt der Wunder beschreibt Rinke die Zukunft in Mitteleuropa mit einem Wort: „Mies!“ Wasserknappheit bedeutet, alle beanspruchen die letzten Tropfen für sich und jemand muss Entscheidungen treffen: Wasser für Hygiene oder Wasser für Landwirtschaft? Wasser für Viehhaltung oder Wasser für Ackerbau? Wasser für medizinische Versorgung oder Wasser zur Brandlöschung? Wasser zum Trinken oder Wasser zum Waschen? Wasser für Menschen oder Wasser für Tiere und Pflanzen? Von Einzelfall zu Einzelfall wird es Verlierer geben.

Nahrungsmittel werden ohne Wasser knapper und folglich teurer. Außerdem muss künftig mehr importiert werden: „Viele Teile Mitteleuropas werden ohne Bewässerung nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar sein. Das notwendige Wasser für die Bewässerung ist aber nicht überall vorhanden,“ schildert Dr. Rinke eine Zukunft in Europa mit Dürre.

Dürre in Europa: Wohin das Wasser verschwindet

Wasser befindet sich auf der Erde in einem ständigen Kreislauf: Es verdunstet von der Erdoberfläche, bildet Wolken am Himmel und regnet als Niederschlag wieder herab. „Global gesehen bleibt die Wassermenge im Grunde gleich und es geht in der Tat um die Verteilung. Das meiste ist Salzwasser und befindet sich im Meer. Nur 2,5 Prozent ist Süßwasser und ein Drittel davon befindet sich festgelegt in Gletschern und an den Polen in Form von Eis. Der Anteil von nutzbarem Süßwasser am Gesamtwasservorkommen ist also recht klein und die Verteilung sehr heterogen.“ Die ungleiche Verteilung des Wassers wird künftig noch ungleicher, erläutert der Experte.

Die aktuellen Prognosen für Deutschland verdeutlichen die Entwicklung. Berechnungen zufolge steigt die Niederschlagsmenge insgesamt leicht an. Durch immer wärmere Temperaturen verdunstet gleichzeitig eine größere Menge Wasser. Hinzu kommen die Jahreszeiten: Die Winter werden laut Rinke feuchter, die Sommer trockener. „Gleichzeitig steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Wetterextreme. Das heißt: Hochwasserfluten und mehrjährige Dürren treten häufiger auf.“

Wasserknappheit: Hitze und Dürre im Kreislauf

Ein Dürremonitor des Helmholtz Zentrum für Umweltforschung  zeigt: Andauernde Trockenheit und Hitze nehmen auch in Deutschland zu. Von 1952 bis 2021 färben sich die Deutschlandkarten während der jüngsten Vergangenheit zunehmend dunkler: von kräftigem Orange über Rot bis hin zu Purpur. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfassen die Daten für jeden Tag und für unterschiedliche Bodentiefen.

Dr. Karsten Rinke sieht keine Möglichkeit mehr, den Klimawandel zu verhindern. Da wir bereits mittendrin sind, setzt er auch auf Anpassung. „Die Forschung entwickelt Konzepte, um die negativen Auswirkungen des Klimawandels abzupuffern. Das hat in der Regel viel mit Nachhaltigkeit und Resilienz zu tun.“ Er nennt moderne und effiziente Technologien wie die Tropfen-Bewässerung für Pflanzen als ein Beispiel. Ein anderes bezieht sich auf die Bodenqualität: Landnutzung und Wasserführung können so verändert werden, dass während feuchter Perioden mehr Flüssigkeit gespeichert wird. Vom Wasserrückhalt profitiert die Landschaft in trockenen Zeiten. Als weitere Ansätze nennt er die Infrastruktur der Wasserversorgung, Abwasser-Management und Mehrfachnutzung, Renaturierung, Begrünung der Städte und neue Kulturpflanzen, die trotz weniger Wasser ohne Pestizide auskommen.

In der Klimapolitik weiterzumachen wie bisher ist für Karsten Rinke trotz Anpassung keine Option: „Es wäre fatal, nicht auf die Reduktion der Treibhausgasemission zu beharren. Wenn wir so weitermachen, steht uns bis Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung bevor, die zwei- bis dreimal intensiver ist als jetzt.“

Dr. Karsten Rinke leitet das Department Seenforschung ...

... am Helmholtz Forschungszentrum für Umwelt (UFZ) in Magdeburg. In vier Arbeitsgruppen forschen Expertinnen und Experten für Biologie, Chemie, Physik und Ingenieurwesen zu Standgewässern. Sie haben das Ziel, „die weitere Etablierung ökologischer Aspekte im Management von Seen und Talsperren voranzutreiben und geeignete Werkzeuge und Lösungsansätze für die Bewirtschafter zur Verfügung zu stellen", erklärt Dr. Karsten Rinke. Foto: UFZ

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