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Foto: UNIVERSITY OF MARYLAND MEDICAL CENTER

Transplantation vom Schwein: Medizinischer Durchbruch oder moralisch verwerflich?

Ein Chirurgenteam der Universität von Maryland in den USA hat erstmals ein Schweineherz in einen Menschen transplantiert. Zwei Monate hat der 57-jährige Mann mit dem Schweinherz gelebt. Am 8. März 2022 starb er in der Klinik in Baltimore.

Die Warteliste für Spenderorgane wird immer länger: Jährlich wächst die Zahl der Wartenden aufgrund des Organmangels um zehn bis 15 Prozent. Das Spenderangebot stagniert oder nimmt je nach Organ sogar ab. Organtransplantationen gehören in der Medizin mittlerweile zum Alltag. Während die erste transplantierte Niere im Jahr 1947 ihre Funktion im Körper des Empfängers nie aufnahm, überleben heute 90 Prozent der Nieren-Transplantierten das erste Jahr.

2021 blieb die Zahl der Organspenden in Deutschland trotz der Corona-Pandemie stabil. Zu den 2905 entnommenen Organen zählen 1492 Nieren, 742 Lebern, 310 Herzen, 299 Lungen, 57 Bauchspeicheldrüsen und 5 Därme. Die Vermittlung der Organe übernimmt die internationale Stiftung Eurotransplant (ET), zu deren Verbund neben Deutschland auch Belgien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Kroatien, Slowenien und Ungarn gehören. Was Wartende für Spenderorgane qualifiziert und wie der Prozess genau abläuft, hat Welt der Wunder in einem Artikel zum Thema Organspende für Sie zusammengefasst.

Fakten zur Organspende in Deutschland:

  • 2021 haben 933 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet.
  • Auf eine Million Deutsche kommen lediglich 11,2 Spender:innen.
  • 2021 erhielten 2853 Wartende durch eine Organspende die Chance auf ein Weiterleben oder mehr Lebensqualität.
  • Gleichzeitig standen Ende 2021 jedoch noch 8448 Menschen auf der Warteliste für ein Organ.

Modifiziertes Schweineherz erfolgreich Todkrankem transplantiert

David Bennett, ein 57-jähriger Handwerker, hatte laut Prognose seiner Ärzt:innen aufgrund seiner Herzinsuffizienz im Endstadium nur noch ein paar Wochen zu leben. Ein Spenderherz stand für ihn nicht zur Verfügung, als sich eine ungewöhnliche Gelegenheit bot: Der Chirurg Bartley Griffith hatte die Genehmigung erhalten, ein modifiziertes Schweineherz in einen Menschen zu verpflanzen. Diese Chance wollte David Bennett ergreifen. In einer über achtstündigen Operation ließ sich der Todkranke Anfang Januar 2022 ein modifiziertes Schweineherz einsetzen –zwei Monate später starb der 57-Jährige.

Warum das Herz eines Schweines?

Die Übertragung von funktionsfähigen Zellen, Geweben oder Organen zwischen verschiedenen Spezies, im Besonderen von Tieren auf den Menschen, wird als Xenotransplantation bezeichnet. Die Gene von Menschenaffen wie Gorillas, Schimpansen, Bonobos und Orang-Utans stimmen mit den unseren zu mehr als 98 Prozent überein. Als Organspender sind sie trotzdem ungeeignet, da die Arten allesamt vom Aussterben bedroht sind. Deshalb greift man in der Forschung auf Schweine zurück. Ihre Organe können mit den physiologischen Anforderungen des menschlichen Körpers mithalten. Die Herzen haben beispielsweise eine ausreichende Funktion der linken Herzkammer, um einen Menschen am Leben zu erhalten und sind zudem noch klein genug für den menschlichen Brustkorb.

Modifiziertes Erbgut

Gentechniker hatten das Erbgut des Spenderschweins an mehreren Positionen verändert. Die Schweinezellen waren gewissermaßen verkleidet, sodass das Immunsystem des Empfängers sie nicht als fremd erkennen kann. Dafür wurde unter anderem ein Zuckerstoff in den Zellen entfernt, der für eine schnelle Organabstoßung verantwortlich ist. Der Körper des Patienten akzeptierte das fremde Organ und das Schweineherz begann zu schlagen.

Risiko: Gefahr durch Virusübertragung

Bereits 1997 wurde während Forschungen deutlich, dass Schweine mehrere Virentypen beherbergen, die – zumindest im Reagenzglas – menschliche Zellen infizieren können. Die Folgen einer Übertragung auf die Menschheit sind bisher unabsehbar. Schweine können beispielsweise mit Hepatitis-E-Viren infiziert sein. Daneben tragen sie in ihrem Erbgut Schweine-Retroviren, die sich teilweise aktiv replizieren und auch rekombinieren können und übertragen werden können. Die Gefahr des Kontrollverlustes ist dabei recht hoch; Epidemien oder gar Pandemien könnten ausgelöst werden.

Ethische Bedenken bei Xenotransplantation

In dem besonderen Fall der speziesübergreifenden Organtransplantation muss der Schutz von Tieren gegen die Rettung von Menschenleben abgewogen werden. Ethiker Nikolaus Knoepffler fasst in einem Interview mit der Tageszeitung taz zusammen: „Solange eine Gesellschaft entscheidet, dass es erlaubt und vertretbar ist, Tiere zu essen und tierische Produkte wie Leder oder Knochen zu nutzen, ist es auch vertretbar, ihre Organe zu verwenden.“ Wer sich davon abgestoßen fühlt, dass Tiere nur zum Zweck der medizinischen Nutzung gezüchtet, gentechnisch verändert und getötet werden, sollte die Massentierhaltung nicht vergessen. Die medizinische Nutzung ist um mehrere Größenordnungen seltener. Der Bedarf an Spenderorganen geht in die Hunderttausende, der an Tieren für den Konsum in die Milliarden. Und obwohl Schweine für eine Organtransplantation erst genmodifiziert gezüchtet werden müssen, steht das zahlenmäßig in keinem Verhältnis zu der Fleischindustrie.

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