Luxus ist etwas Materielles, „ein kostspieliger, verschwenderischer und den normalen Rahmen übersteigender Aufwand.“ So steht es im Duden. Doch was ist mit all den kostbaren Momenten, die wir uns mit Geld nicht kaufen können? Das deutsche Zukunftsinstitut hat in einer repräsentativen Umfrage festgestellt, dass zunehmend die sogenannten „immateriellen Werte als besonders begehrenswert gelten.“ Also zum Beispiel Zeit, die man mit anderen verbringt. Emotionen, die man teilt. Das Gefühl von absoluter Ruhe. In unserem schnelllebigen Alltag werden permanente Geräusche von uns kaum noch wahrgenommen und die Stille als etwas empfunden, was mit Raum gefüllt werden muss. Entspannte Naturgeräusche, Klänge entfernter Kulturen sollen beim Entspannen helfen. Wie aber wäre es stattdessen mit echter Stille? Stille braucht Zeit. Sich daran zu gewöhnen ebenfalls. Warum ist sie heutzutage wichtiger denn je? Wo finden wir noch echte Stille und Ruhe?
Stille ist ein Luxusgut
Mehr als die Hälfte der europäischen Stadtbewohner sind einem Lärmpegel von 55 Dezibel ausgesetzt, was den empfohlenen Wert der Weltgesundheitsorganisation (WHO) deutlich überschreitet. Nicht ungefährlich, denn auf Dauer kann Lärm Erkrankungen auslösen und unser Denken beeinflussen. Bewusste Stille fördert die innere Ruhe und die Kreativität. Diesen Effekt haben Wissenschaftler lange unterschätzt und empfehlen heute, regelmäßig in der Natur innezuhalten, um der natürlichen Stille zu lauschen. In den fünf Alpenregionen, die Sie nun kennenlernen, ist die Stille beispielsweise noch in ihrer ganzen Dimension spürbar.
Nationalpark Hohe Tauern: Luxus ist mehr als nur ein monetärer Wert
Die Entdeckung der neuen Langsamkeit ist purer Luxus. Im Nationalpark Hohe Tauern in Osttirol spüren und erleben Besucher das besonders. Immer mehr Menschen erkennen die Werteverschiebung und berufen sich auf das, was jeher ist: Raum und Ruhe. Die Authentizität dieser ursprünglichen Berglandschaft zeigt sich in der einzigartigen Natur von den verwinkelten Tälern bis zu den eisigen Gletschern in schwindelnder Höhe. „Wenn man im Licht der letzten Abendsonne durch den Nationalpark streift, strahlen die Gipfel der Hohen Tauern eine magische Atmosphäre aus. Die Hektik des Alltags? Verloren in Zeit und Raum. Das sind Erlebnisse, die man sich nicht kaufen kann“, sagt Nationalpark-Ranger Andreas Angermann. „Aber sie bleiben nachhaltig in Erinnerung.“ Im Mittelpunkt stehen die Stille, Entschleunigung und Ruhe fernab des Alltags.
Sellraintal: Tourismus ganz anders
Es gibt nicht viele, die ihren Weg in das ursprüngliche Seitental des Inntals finden. Das Sellreintal mit seinen Bergsteigerdörfern liegt nämlich im alpinen Niemandsland zwischen dem urbanen Innsbruck und den Tiroler Gletscherskigebiets-Hotspots. Fast so, als würde hier die Zeit stillstehen. Schon früh haben sich die Bewohner des Tals für eine andere Art des alpinen Tourismus entschieden: Statt Massentourismus rücken die Besonderheiten der Landschaft, das Traditions- und Kulturverständnis und der Erhalt von Ruhe in den Vordergrund. „Zu uns kommen Menschen, die die Natur genießen wollen“, sagt Luis Melmer, Gastwirt des Alpengasthof „Praxmar“.
Im angesagten Innsbruck gibt‘s Gaudi, im Sellreintal die einsamen Berggipfel und traditionellen Almlandschaften – Stille ist omnipräsent.
Defereggental: Ein Tal im Dornröschenschlaf
Es ist die gesunde Stille des Zirbenwaldes und die einsame Schroffheit der hochalpinen Gebrigslandschaft auf den letzten Metern zu Gipfel. Wenn der Mensch sich bewusst bewegt, bewegt er sein Gemüt. Im Osttiroler Defereggental warten Stille und Ruhe fernab des Massentourismus. Die umliegenden Berge sind unbekannt, menschenleer und aussichtreich. Die Kulisse im Defereggental birgt etwas Behutsames und Beständiges – in Ruhe seinen Gedanken nachhängen, ohne der Stille einer Erklärung schuldig zu sein.
Seefeld: Zu Fuß ein unbekanntes Karwendeltal kennenlernen
Abweisend und beinahe unnahbar liegt das Karwendel kurz hinter der deutsch-österreichischen Grenze und ist trotzdem eines der beliebtesten Wanderziele in den Nordalpen. Um Ruhe zu finden, müssen Wanderer länger suchen oder die echten Geheimtipps der Karwendelregion kennen. Wie zum Beispiel das Eppzriler Tal, das sich vom beschaulichen Dörflein Gießenbach zwischen Scharnitz und Seefeld nur erwandern lässt. Die enge Schlucht im unteren Bereich und die weiten Almlandschaften weiter oben sind wahre Orte der Stille. In diesem Bereich befindet sich auch die urige Eppzirler Alm, wo Ruhe, Stille und Innehalten ohne Menschenmassen möglich ist.
Villgratental: Ein Bergsteigerdorf, welches mit „Nichts“ lockt
Nachhaltigkeit. Naturverbundenheit. Genügsamkeit. „Kommen Sie zu uns, wir haben nichts“, so werben die Villgratentaler um Gäste. Aus wenig viel zu machen, ist die Fähigkeit der Talbewohner. Kein Wunder, denn die Bergdörfer Außer- und Innvillgraten liegen fernab von Trubel und Lärm. Das Villgratental ist ein abgeschlossenes, alpines Seitental vom Osttiroler Pustertal und erstreckt sich über 15 Kilometer Länge. Ein wahres Naturparadies, welches weder Seilbahnen noch große Hotelanlagen oder sonstige Massenattraktionen bietet. Stattdessen finden Besucher das, worauf die Bewohner stolz sind: Nichts – außer die genügsame Natur.