Unsinnige Bauprojekte, irreführende Schilder und Bürokratie-Wahnsinn: Sie nennen wir umgangssprachlich einen Schildbürgerstreich. Angeblich geht die Redewendung auf die dummen Bürger aus dem Städtchen Schilda zurück. Doch gab es die Schildbürger wirklich? Welt der Wunder hat einmal nachgeforscht …
Diese ist nur eine von vielen märchenhaften Geschichten über die einfältigen Schildbürger. Das Buch, in dem sie erschienen sind, stammt aus dem Jahr 1598 und war damals ein Bestseller. Mehrere Autoren erzählen darin Begebenheiten von den Bürgern eines Ortes namens Schilda. Seine Einwohner haben einen noch schlechteren Ruf als die Ostfriesen, über die es heute unzählige Witze gibt. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb wurden ihre Geschichten so gerne gelesen. Über andere zu lachen entlastet – denn offensichtlich gibt es immer noch jemanden, der dümmer ist als man selbst.
Das Leid der Klugen
Unklar ist heute, ob eine real existierende Stadt Vorbild für die Erzählungen war – und wenn ja, welche. Manche Heimatforscher vermuten, dass Schildau in Sachsen die Hochburg der närrischen Bürger ist. Die Stadt wird im Volksmund Schilde genannt und in der ersten Ausgabe des Buches ist ebenfalls nicht von „Schilda“, sondern „Schilde“ die Rede. Doch neben Schildau gibt es noch ein halbes Dutzend anderer Orte, auf die die Erzählungen theoretisch zurückgehen könnten.
Das Schildbürgerbuch selbst liefert aber noch eine weitere mögliche Erklärung, wie die Schildbürger zu ihrem Namen kamen. Demnach stammt er von der Bezeichnung „Schilt“, was so viel bedeutet wie „Wappen”. Wappen sind eigentlich Insignien des Adels. Trotzdem beharrten die bürgerlichen Helden des Buches auf ihr Zeichen und entwarfen Phantasie-Wappen. Folglich wohnten die Bürger in einem Ort namens „Schilde“ oder, wie es im Buch auch manchmal heißt, „Schiltburg“.
Eine Verbindung in die Antike?
Tatsächlich haben viele der Schildbürgergeschichten ihren Ursprung in der Fabeldichtung des griechischen Dichters Äsop. So auch die Geschichte von einem ausgelassenen Gelage, das in einem heillosen Chaos endet: Dabei verlieren die betrunkenen Schildbürger während des Festes jegliche Kontrolle. Ihre Gliedmaßen verknoten sich zu einem einzigen Gewirr. Erst ein vorbeikommender Fremder löst die prekäre Situation. Mit einem Knüppel schlägt er auf die Beine der Schildbürger ein, der Schmerz findet den dazugehörenden Körper und befreit die Tölpel schließlich aus ihrer misslichen Lage. Eine ähnliche Geschichte hat schon Äsop im 6. Jahrhundert vor Christus erzählt. Die Mär vom menschlichen Knäul verurteilte den ungezügelten Genuss von Alkohol. Bereits Äsops Werke nahmen menschliche Schwächen aufs Korn. Neid, Geiz, Eitelkeit oder Dummheit waren stets Motive, die er metaphorisch verpackte.
Bestseller aus dem Mittelalter
Auch mit diesem Streich werden gesellschaftliche Missstände auf den Arm genommen. In diesem Fall steht die Rechtsprechung am Pranger. Das Gefühl der Willkür und die Zweifel am Verstand der Obrigkeit beschäftigten die Menschen in der Antike und im Mittelalter genauso wie heute. Möglicherweise wurde das Schildbürgerbuch gerade wegen dieser Alltagsnähe zum Bestseller – und das Schicksal der Helden zum Inbegriff für Bürokratie-Irrsinn.