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Lise Meitner: die Frau hinter der Atombombe

Foto: IAEA Imagebank / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0

Lise Meitner: die Frau hinter der Atombombe

Ohne Lise Meitner gäbe es weder Kernkraft noch Atombomben. Doch die Physikerin wurde nie für die Entdeckung der Kernspaltung gewürdigt.

Einstein, Bohr, Schrödliner – große Namen der Physik. Die Liste sollte um einen weiteren Namen ergänzt werden: Lise Meitner. Sie gilt als Entdeckerin der Kernspaltung und hat so maßgeblich zur Entwicklung der tödlichsten Waffe der Welt beigetragen. Doch die “Mutter der Atombombe” genoss nie die Anerkennung ihrer männlichen Zeitgenossen. Die Gründe dafür reichen von Sexismus über Konkurrenzkämpfe zur Judenverfolgung unter dem NS-Regime.

Lise Meitner erhält den Enrico-Fermi-Preis, den sie mit Hahn und Strassmann teilte. Dr. Glenn Seaborg überreicht die Auszeichnung. Otto Frisch steht auf der linken Seite.

Seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine sind Atomwaffen wieder ein großes Thema. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fordert eine sichere Energieversorgung und wirbt für eine mehrjährige Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken. Sowohl Atomwaffen als auch Atomkraftwerke funktionieren durch Kernspaltung. Und hinter der Kernspaltung stecken die Erkenntnisse einer Frau, die für ihre Forschung nie ausreichend gewürdigt wurde: Lise Meitner.

„Wenn sie im Keller bleibt, soll es mir recht sein“

Für manche Wissenschaftlerinnen versperrte nicht nur das Geschlecht, sondern auch die Religion den Weg zu Ruhm und Anerkennung. Das trifft auch auf Lise Meitner zu. Geboren wurde sie 1878 in Wien. Meitner kam als Tochter eines jüdischen Anwalts zur Welt, ihre Familie näherte sich aber dem Protestantismus an. Schon früh begeisterte sich die Österreicherin für Mathematik. Nach der Reifeprüfung studierte sie an der Wiener Universität und war die zweite Frau, die dort im Hauptfach Physik promovierte.

Zunächst arbeitete Meitner am Institut für theoretische Physik an der Universität Wien. Mit 29 Jahren ging sie nach Berlin, um Vorlesungen von Max Planck zuzuhören. Dort traf sie auch Otto Hahn, der an Radioaktivität forschte. Er würde noch ihr langjähriger Forschungspartner werden.

Meitner musste kämpfen, um mit Hahn zusammenarbeiten zu dürfen. Der damalige Institutsleiter soll gesagt haben: „Wenn sie im Keller bleibt und niemals das Institut betritt, soll es mir recht sein.“ Daher mussten Hahn und Meitner ihre ersten Experimente in einer Holzwerkstatt im Keller des chemischen Instituts durchführen.

Frauen waren an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität nur als Reinigungskräfte geduldet. Meitner betrat das Gebäude daher durch einen separaten Eingang.

Einstein nannte Meitner „die deutsche Madame Curie“

Eine Lockerung erlebte sie erst, als 1909 Frauen in Preußen an Universitäten zugelassen wurden. Mit Hahn entdeckte sie das chemische Element Protactinium. Das brachte ihr genug Anerkennung, um am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie zu lehren. Damit war Meitner Deutschlands erste Dozentin für Physik. Sie lernte so Persönlichkeiten wie Marie Curie und Albert Einstein kennen. Einstein selbst nannte sie „die deutsche Madame Curie“.

Anfang der 1930er Jahre wurde die Lage für Lise Meitner immer unsicherer. Obwohl sie 1908 zum evangelischen Glauben konvertiert war, galt sie im NS-Staat aufgrund ihrer Abstammung als Jüdin. 1933 entzog ihr die Universität deswegen die Lehrbefugnis. Meitner blieb in Deutschland und hoffte, dass das Regime ein baldiges Ende finden würde.

Erst 1938 entschied sich die Physikerin zur Flucht. Denn mit der Annexion Österreichs verlor Meitner ihren Status als Ausländerin, der sie noch vor antisemitischen Gesetzen im Dritten Reich geschützt hatte.

Lise Meitner hat kein Glück im schwedischen Exil

Mit Otto Hahns Hilfe landete Meitner noch 1938 im Exil in Stockholm. Dort konnte sie am Nobel-Institut weiterarbeiten. Doch dort war die damals schon bekannte Physikerin keineswegs willkommen. Sie erhielt weder Equipment noch Unterstützung, um weiter an Kernspaltung forschen zu können. Laut Meitner-Biografin, Ruth Lewin Sime, befürchtete ihr Vorgesetzter, Manne Siegbahn, Konkurrenz von der erfolgreichen Forscherin.

Trotz aller Schwierigkeiten korrespondierte Meitner von Schweden aus weiter mit Otto Hahn. Er führte als Chemiker Experimente mit Uranium durch und sie lieferte als Physikerin den theoretischen Hintergrund. Als Hahn nach dem Beschuss von Uranium mit Elektronen das viel leichtere Barium ausmachte, wandte er sich an seine Kollegin im Norden Europas.

Meitner berechnete mit ihrem ebenfalls geflüchteten Neffen und Physiker, Otto Frisch, dass bei der Spaltung sowohl Barium als auch enorme Mengen Energie entstehen. So lieferten Meitner und Frisch die theoretische Grundlage hinter der Kernfusion.

Den Nobelpreis für Physik erhielt 1945 nur Hahn. Trotz ihrer gemeinsamen Forschung. Denn die Ergebnisse veröffentlichte Hahn, ohne Meitners Namen zu nennen. Heute sieht Biografin Sime, den Grund für Hahns Handeln im damals Herrschenden NS-Regime. Hahn wollte wohl eine Nennung seiner jüdisch-stämmigen Forschungspartnerin nicht riskieren.

Lise Meitner: die Mutter der Atombombe

Nach der Entdeckung von Meitner, Frisch und Hahn forschten andere Forscherteams an einer Kettenreaktion der Kernspaltung, um Energie zu gewinnen. Doch das Interesse galt nicht nur der Energiegewinnung, sondern auch der Kriegsführung. Meitner war laut Sime schockiert über die Folgen ihrer Entdeckung.

In der Presse wurde sie nach dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima die „Mutter der Atombombe“ genannt, obwohl sie stets gegen den Einsatz von Nuklearwaffen war. Trotz einiger Anfragen aus den USA wollte Meitner niemals an der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen arbeiten.

1960 zog Lise Meitner mit ihrem Neffen Otto Frisch ins britische Cambridge und setzte sich bis zu ihrem Tod am 27. Oktober 1968 für eine friedliche Nutzung der Kernspaltung ein. Stolze 49 Mal wurde Meitner für den Nobelpreis in Physik oder Chemie nominiert – gewonnen hat sie ihn nie.

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