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Caleta Tortel – die Stadt der Stege

Foto: Andrea Sauer

Caleta Tortel – die Stadt der Stege

Im Süden Chiles, wo die Küste in eine wilde Fjordlandschaft ausfasert, liegt der kleine Ort Caleta Tortel. Bis 2003 konnte man nur mit dem Flugzeug oder durch eine Bootsfahrt über den Río Baker Tortel erreichen. Mittlerweile wurde eine Schotterpiste bis zum Ortseingang gebaut, die von der bekannten Wildnisstraße Carretera Austral abzweigt.

Was sich aber in all den Jahren seit der Gründung des Ortes im Jahr 1955 nicht geändert hat, ist die Tatsache, dass es im Ort selbst nur zu Fuß weitergeht. Die Häuser schmiegen sich über zwei Kilometer hinweg an die in den Fjord abfallenden Hänge, teilweise sind sie auch selbst auf Pfählen errichtet, dazwischen schlängeln sich Stege und Treppen aus Zedernholz – insgesamt fünfzehn Kilometer Holzwege.

Die Zedern waren auch der Grund dafür, dass sich überhaupt Menschen an diesem entlegenen Ort angesiedelt haben. Anfang des letzten Jahrhunderts begannen Geschäftsmänner aus Santiago de Chile, das Holz zu fällen und unter anderem bis nach Europa zu verschiffen. Auch heute noch dreht sich alles um das Holz, dient es doch sowohl als Baumaterial für die Häuser und Stege, als auch als Brennmaterial. Es wird weiterhin verkauft und auch als Material für Holzschnitzereien genutzt.

Das Ufer des Rio Baker

Entlang des Rio Baker stehen noch deutlich isoliertere Behausungen, hier wird der Fleischvorrat für den Ort herangezogen. Überraschte Besucher können miterleben, wie das Boot eines der Bauern anlegt, an Bord eine frisch geschlachtete Kuh.

Käufer bekommen Fleischstücke in einer Größe mit, die bei uns für Wochen reichen würde. Aber in einer Region, in der das Klima so rau ist wie hier und in der praktisch alle Lebensmittel mit dem Schiff gebracht werden müssen, ist Fleisch Hauptnahrungsmittel. Zum besseren Transport wird einfach ein kleiner Tragegriff ins frische Fleisch geschnitten – wirklich ökologisch ohne Verpackung, aber der an Hygiene gewohnte Mitteleuropäer zuckt doch ein bisschen zusammen …

Caleta Tortel – die Stadt der Stege
Foto: Andrea Sauer

Die Zeiten, in denen es im Ort weder Telefon noch Strom oder fließendes Wasser gab, sind noch nicht lange vorbei. Mittlerweile hat sich ein im besten Sinne des Wortes nachhaltiger Tourismus entwickelt, es gibt kleine Unterkünfte, ein paar winzige Restaurants und es werden Bootstouren zu den naheliegenden Gletschern angeboten.

Die Gletscher Steffen und Jorge Montt, die dem Südlichen bzw. Nördlichen Patagonischen Eisfeld entspringen, sind mit kleinen Booten von Tortel aus in einem Tagesausflug gut zu erreichen. Um den Ort herum gibt es Wandermöglichkeiten mit spektakulären Aussichten auf die umgebende Fjordlandschaft und den farbenprächtigen Río Baker, für einige muss man sich mit einem Boot übersetzen lassen.

In der Nähe liegt die geheimnisvolle Isla de los muertos

Ebenfalls ein touristisches Ziel ist die Isla de los muertos (Insel der Toten), die an die Zeit erinnert, als Holzfäller in eine zu dem Zeitpunkt menschenleere Wildnis verfrachtet wurden. Auf der Insel stehen 33 Holzkreuze, Überreste der Gräber von 120 Arbeitern der Baker Exploitation Company, die 1906 unter mysteriösen Umständen ums Leben kamen. Erklärungsansätze sind, dass sie an Skorbut starben oder im Winter die versprochene Versorgung und Unterbringung nicht funktionierte. Auch eine Vergiftung und sogar die vorsätzliche Ermordung der Männer durch ihren Arbeitgeber, der sich den Lohn sparen wollte, stehen im Raum. Klären wird sich dies jedoch nicht mehr lassen. Trotz dieser Ungewissheit wurde die Insel seit 2001 als Nationaldenkmal geschützt.

Wer eine wilde Natur und die Menschen darin wirklich hautnah und ursprünglich erleben will, sollte sich auf den zugegebenermaßen recht langen und abenteuerlichen Weg von Coyhaique, der Hauptstadt der Región de Aysén, aufmachen und sich auf das Leben in der Stadt der Stege einlassen.

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