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Apnoetauchen: Wie tief kann man ohne Sauerstoffgerät tauchen?

Foto: Stock / mihtiander

Apnoetauchen: Wie tief kann man ohne Sauerstoffgerät tauchen?

Wie weit kann ein Mensch mit nur einem einzigen Atemzug tauchen? So genannte Apnoetaucher versuchen, eine möglichst große Distanz unter Wasser zurückzulegen – ohne Atemmaske und Sauerstoffgerät. Doch wo liegen die Grenzen?

14. Juni 2007: Mit einem umhängten Gewicht lässt sich der damals 37 Jahre alte Österreicher Herbert Nitsch auf einer Art Schlitten an einem Stahlseil ins Meer hinunterziehen.

Sein Versuch: Tiefer zu tauchen als je ein Mensch vor ihm und das allein mit der Luft eines Atemzugs, ohne Sauerstoffgerät. Gültig ist der Versuch nur dann, wenn er die Oberfläche wieder bei vollem Bewusstsein erreicht. Nitsch gelingt das Wunder: Nach nur eineinhalb Minuten erreicht er 214 Meter – Weltrekord. „No Limit“ heißt diese extreme Variante des so genannten Apnoetauchens. „Apnoe“ ist griechisch und bedeutet „Nichtatmung“ oder Atemstillstand.

Tonnenschwere Belastung für den Körper

Doch beim Apnoetauchen geht es um weit mehr als darum, möglichst lang die Luft anzuhalten. Denn mit steigender Wassertiefe nimmt auch der Druck zu – alle zehn Meter um ein Bar. Zum Vergleich: Der Druckunterschied zwischen Weltall und Erdoberfläche beträgt insgesamt nur etwa ein Bar. Um dem enormen Druck unter Wasser standhalten zu können, muss der Taucher komplizierte Ausgleichstechniken erlernen. Ohne diesen Druckausgleich würde beispielsweise das Trommelfell nach kurzer Zeit platzen. Auch auf die luftgefüllten Lungen wirkt eine enorme Kraft: Das Wasser drückt das Organ auf Faustgröße zusammen.

Ab einer Tauchtiefe von etwa vierzig Metern wird das Lungenvolumen auf seine minimale Größe von circa 1,2 Litern komprimiert. Damit ist nur noch die Menge Atemluft in der Lunge vorhanden, die sich permanent dort befindet und nicht ausgeatmet werden kann. Man spricht hierbei vom Residualvolumen. In noch größeren Tiefen steigt deshalb die Gefahr eines Unterdrucks in der Lunge rapide; der Taucher schwebt in Lebensgefahr.

Bei weiterem Hinabtauchen strömt Blut vom Bauch in das Lungengewebe, lässt es anschwellen und verhindert auf diese Weise eine weitere Abnahme des Volumens. Bis zu 1,5 Liter Blut können in die Gefäße gelangen und das Organ so vor dem Kollaps schützen. Diesen Prozess, der auch Robben oder Wale in große Tiefen tauchen lässt, nennt man „Bloodshift“, eine Blutumverteilung vom Bauch- in den Brustraum.

Um dem hohen Wasserdruck standhalten zu können, müssen Apnoetaucher eine besondere Atemtechnik trainieren, das „Buccal Pumping“. Dabei lernen sie, sich gewissermaßen aufzublähen – wie ein Kugelfisch. Diese Technik bietet dem Athleten die Möglichkeit, selbst nach maximaler Einatmung je nach Können zwei bis fünf weitere Liter Luft in die Lungen zu pumpen. Bei einem Apnoetaucher vergrößert sich damit das normale Lungenvolumen von zehn auf bis zu 15 Liter. Außerdem sinkt der Herzschlag bei trainierten Freitauchern auf bis zu zwölf Schläge pro Minute – der Körper passt sich den extremen Bedingungen an.

Gefahr beim Auftauchen

Laien glauben oft, dass die Gefahr gebannt sei, sobald der Taucher die Wasseroberfläche wieder erreicht. Die schwierigste Phase beim Tieftauchen ist jedoch nicht das Ab-, sondern das Auftauchen. Hier passieren die meisten Unfälle. Denn: Sobald der Apnoetaucher den tiefsten Punkt erreicht hat, lässt er sich mithilfe eines mit Pressluft gefüllten Ballons nach oben ziehen. Mit jedem Meter Richtung Wasseroberfläche nehmen die Lungen wieder an Volumen zu; der Sauerstoffgehalt im Blut steigt wieder.

Taucht der Apnoetaucher zu schnell auf, kann das Blut den Sauerstoff nicht mehr aufnehmen. Die Gefäße müssen sich erst wieder an die veränderten Verhältnisse gewöhnen. Andernfalls droht eine Art Überdosis; die Sauerstoffversorgung des Gehirns bricht zusammen und der Taucher wird ohnmächtig. Um die Verletzungsrisiken zu minimieren, steigern Apnoetaucher deshalb die Tauchtiefe in kleinen Schritten. Durch regelmäßige Übungen können sie sich sowohl physiologisch als auch mental auf diese außergewöhnliche Belastung beim Tauchen einstellen – und zum Beispiel die Anzeichen einer drohenden Ohnmacht rechtzeitig erkennen.

Auch im Apnoe-Tauchsport gibt es verschiedene Disziplinen: Beim Zeittauchen werden die Minuten gemessen, in denen der Sportler das Gesicht vollständig unter Wasser hält. In der Disziplin Streckentauchen gilt es für den Apnoetaucher, eine möglichst große Strecke unter Wasser zu schwimmen. Der Taucher kann die Distanz entweder mit oder ohne Flossen zurücklegen. Bekannt sind aber vor allem die Tieftauchdisziplinen. Der derzeitige Rekord liegt bei 214 Meter. Tiefer als der Extremsportler Herbert Nitsch ist bisher kein Mensch getaucht.

Das Spiel mit der eigenen Gesundheit

Was genau im Körper der Apnoetaucher in über 200 Metern Tiefe passiert, können Wissenschaftler bis heute nicht mit Gewissheit sagen. Viele Erklärungen basieren nur auf theoretischen Modellen, es fehlen die Erfahrungswerte. Und immer wieder kommt es auch zu schweren Unfällen: 2007 starb der Franzose Loïc Leferme bei einem Rekordversuch, und der deutsche Apnoetaucher Benjamin Franz war nach seinem Unfall 2002 vorübergehend halbseitig gelähmt. Das Schicksal traf keine Laien, sondern Profi-Taucher. Viele Apnoesporttaucher distanzieren sich deshalb auch vom No-Limit-Tauchen.

Ungeachtet dessen gilt das Interesse der Extremsportler immer neuen Höchstleistungen und waghalsigen Versuchen. Doch wo liegen die Grenzen? Selbst Herbert Nitsch, der im Juni 2012 seinen eigenen Rekord brechen wollte, verunglückte dabei. Mittlerweile geht er wieder regelmäßig tauchen, doch es hat lange gedauert, bis er sich von den Hirnschlägen erholte, die er beim Auftauchen erlitt. Seither hat er an Land mit Gleichgewichtsstörungen zu kämpfen. Das No-Limit-Tauchen ist ein Spiel mit dem Feuer – doch der Wunsch nach dem ultimativen Kick wird Apnoisten wohl noch viele weitere Jahre hinab in die unergründlichen Tiefen der Meere ziehen.

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