
Keine andere Wüste ist tödlicher: 50 Grad Celsius plus am Tag, 20 Grad minus in der Nacht und ständig Stürme. Trotzdem zeugen in der Taklamakan im Nordwesten Chinas 4.000 Jahre alte Mumien und Geisterstädte von vergangenen Hochkulturen. Wir begeben uns auf eine Reise in die Todeszone.

Wer durch diese Wüste wandert, verliert sich in einem Sandmeer, das sich auf 400 Kilometern nicht verändert. Dazu kommen: Eiseskälte, Gluthitze, Wassermangel und 100 Meter hohe Dünenkämme, in deren Sand die Füße bei jedem Schritt versinken, als sei es eine zähe Flüssigkeit. Und das sind schon die guten Tage in der Taklamakan, meist im September und Oktober.

Sobald der gefürchtete Schwarze Sandsturm, der Kara Buran, für Tage oder Wochen losbricht, wird aus der endlosen Dünenwelt eine schwarze Hölle. Dann bleibt vom Licht der Sonne nur ein mattes Glimmen übrig. Staub und aufgewirbelte Sandpartikel verstopfen die Lunge und verhindern die Sauerstoffaufnahme. Der Mensch erstickt.

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Die Wüste gibt ihre Toten frei und verschlingt sie von Neuen. Immer wieder bläst der Wind den Sand weg von Gebeinen aus mehreren Jahrtausenden. Ganze Gruppen verdursteter Siedler oder verirrter Abenteurer tauchen plötzlich auf. Sie erinnern daran, die Wasservorräte und die eingeschlagene Richtung lieber zweimal zu prüfen.

So schnell die Toten ins Blickfeld rücken, so schnell bedeckt der Wind sie wieder. Das ist der Grund, warum selbst die verlorenen Städte der Wüste zunächst entdeckt wurden und spätere Expeditionen sie einfach nicht mehr wiederfinden konnten. Wer hier stirbt, wird lange Zeit überdauern: Die extreme Hitze und der Mangel an Wasser konservieren die Toten der Taklamakan zu Mumien.

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Alle fünf Kilometer stehen Pumpenhäuser, um die Arbeiter mit Wasser zu versorgen. Pausenlos sind sie damit beschäftigt, die Straße von Sand zu befreien und die beiden etwa 60 Meter breiten, künstlich angelegten Grünstreifen zu erhalten – ein improvisierter Schutz vor der Gier der Wüste.

Doch warum baut man für Millionen von Euro auf Sand? Unter der Taklamakan schlummern gewaltige Schätze: Öl und Gas.

Vier bis sechs Milliarden Kubikmeter Schmelzwasser fließen jedes Jahr von den umliegenden Bergen in die Taklamakan. Doch davon bleiben nur Ströme aus Sand übrig.
Man kann Wochen unterwegs sein, ohne ein einziges Tier zu sehen. Die Temperaturen schwanken innerhalb von 24 Stunden um bis zu 70 Grad Celsius. Umgeben von hohen Bergen und Tausende Kilometer von allen Meeren entfernt, hat die Luft hier bereits ihre gesamte Feuchtigkeit verloren. Regentropfen würden in der Tageshitze schon in der Luft wieder verdampfen. Höchstens nachts besteht die Chance auf etwas Schnee.
Der schwarze Sandsturm
Von Februar bis Juni wütet alle paar Tage der Kara Buran, der „Schwarze Sandsturm“. Oft verdunkelt er für Wochen den Himmel. Karawanen, ganze Städte und angeblich sogar eine Armee des chinesischen Kaisers hat er unter meterhohen Dünen begraben. Manchmal trübt ein Orkan aus der Wüste den Blick der Bewohner Pekings, obwohl die chinesische Hauptstadt rund 2500 Kilometer weiter östlich liegt.
Sand aus der Taklamakan färbte schon Alpengletscher dunkel. Analysen ergaben: In nur zwei Wochen hatte eine Wolke aus Billionen von Staubpartikeln eine Strecke von rund 20.000 Kilometern zurückgelegt. Der Gruß aus der Wüste überquerte China, den Pazifik, Nordamerika und schließlich sogar den Atlantischen Ozean, bis der Staub in Zentraleuropa zu Boden sank.
In der Kälte der Nacht sind Geräusche hörbar. Geister? Kinder lachen und schreien. Dann bellen auf einmal Hunde. Auch Glocken läuten. Immer lauter wird der Lärm: Die Wüste „singt“. Die Geräusche entstehen, wenn Sand abrutscht. Die Schallwellen der einzelnen Sandkörner verstärken sich, zusätzlich wirkt die Oberfläche der Düne wie die Membran eines Lautsprechers. Mehr als 100 Dezibel kann der Dünenchor erreichen, etwa so laut wie eine Kettensäge aus einem Meter Abstand.
Woher kommen die blonden Mumien?
Phänomene wie diese machten die Taklamakan jahrhundertelang zu einer No-go-Area. „Nur die Gebeine der Toten weisen den Weg“, beklagte der Mönch Faxian Anfang des 5. Jahrhunderts. Die Geister der vielen Toten ziehen in der Wüste umher, so der Glaube. Tatsächlich bergen die Toten der Taklamakan einige Geheimnisse, die die Archäologen bis heute nicht lüften konnten: Mehr als 100 sehr gut erhaltene Mumien haben sie bereits in den Ruinen vergessener Städte gefunden, einige von ihnen mindestens 4000 Jahre alt. Die Taklamakan und Lop Nor, der kleine Bruder im Osten, gelten als zwei der größten Schatzkammern der Erde – aber auch als zwei der unzugänglichsten.
Dandan Oilik, die legendäre Wüstenstadt war einst ein Zentrum des Buddhismus und wichtige Handelsstation. Bis 1998 galt sie als unauffindbar. Wie spitze Raubtierzähne ragen verdorrte Holzpfeiler aus den Dünen. 18 verschiedene Gebäudekomplexe sind erkennbar, darunter jahrtausendealte Tempel.
Aber wie kann es sein, dass ausgerechnet hier Städte blühten? Bis vor etwa 2000 Jahren war das Klima in der Taklamakan längst nicht so lebensfeindlich wie heute. Damals gab es Wasser, die Grundlage für blühende Wüstenstädte. Diese Oasen galten als wichtige Stationen entlang der antiken Seidenstraße, des bedeutendsten Highways zwischen dem Fernen Osten und Europa. Die Handelsstädte waren damals Schmelztiegel der Zivilisationen. Das beweisen die hervorragend konservierten Fundstücke und Wandzeichnungen: Buddhisten, Inder, Türken gehören zu denen, die hier Spuren hinterlassen haben.
DNA-Analyse an den Mumien
Doch scheint die Taklamakan fest in europäischer Hand gewesen zu sein, das legen zumindest die mumifizierten Körper nahe. Die meisten der untersuchten Körper waren groß, blond, mit langen Nasen und tief liegenden Augen. DNA-Analysen bestätigten die enge Verwandtschaft. Was hat die Europäer dorthin getrieben? Warum verschwanden sie wieder aus dem lokalen Genpool? Und was hat die Bewohner veranlasst, ihre mächtigen Städte so plötzlich aufzugeben? Die Wissenschaft steht vor einem Rätsel. Die Forscher spekulieren, dass eines der Erdbeben, die die Wüste noch heute häufig erschüttern, den Wasserkreislauf unterbrochen und die Taklamakan trocken gelegt haben könnte.
Unter dem Sand lagern gewaltige Vorkommen an Gas und Erdöl. Um sie zu erschließen, baute China die längste Wüstenstraße der Welt. Auf über 500 Kilometern teilt der zweispurige Tarim-Highway die Taklamakan in eine Ost- und eine Westhälfte. Der Bau war extrem aufwendig und ein Meisterstück der Ingenieurskunst: Der instabile, sandige Untergrund wurde verschmolzen, um eine stabile Basis für den Asphalt zu schaffen. Millionen von Bäumen mussten gepflanzt werden, um die Dünen aufzuhalten. Über 200 Arbeiter wohnen entlang der Straße, um diesen künstlichen Wald zu pflegen und Sand wegzufegen. Die Kosten für Bau und Instandhaltung machen diesen Asphaltstreifen zur teuersten Straße der Welt.