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Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Foto: Envato / LightFieldStudios

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Immer wieder erfahren vorrangig Frauen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Wie sollten Betroffene handeln?
  • Mindestens jeder vierte Angestellte hat bereits sexuelle Gewalt, Belästigung und Diskriminierung an der Arbeitsstelle erlebt.
  • Jede achte berufstätige Frau (13 Prozent aller Frauen) war zwischen 2016 und 2018 am Arbeitsplatz sexueller Belästigung und Gewalt ausgesetzt.
  • Bei den Männern war es jeder Zehnte (5 Prozent aller Männer).

Vor einigen Monaten warfen sechs Mitarbeiterinnen des Arbeitgebers Tesla dem US-amerikanischen Unternehmen vor, am Arbeitsplatz des Öfteren belästigt worden zu sein – durch anzügliche Blicke, unangemessene Ausdrücke oder körperliche Übergriffe. Die Belästigungen gingen so weit, dass sich einige Frauen dazu entschieden, ausschließlich weite Kleidung während der Arbeitszeit zu tragen.

Laut der „Washington Post“ klagen die Frauen nun wegen „alptraumhafter Bedingungen“ und „grassierender sexueller Belästigung“ gegen den Elektroautohersteller.

Auch in Deutschland sorgte zuletzt ein Fall für Schlagzeilen. Der ehemalige Chef-Redakteur der „Bild“-Zeitung, Julian Reichelt, verlor seinen Job.  Unter anderem weil er seine Macht missbraucht haben soll, um sexuelle Beziehungen mit ihm unterstellten Kolleginnen einzugehen. Beides keine Einzelfälle.   

Aus einer 2019 veröffentlichten Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes geht hervor, dass jede achte berufstätige Frau (13 Prozent) in den vergangenen drei Jahren an ihrem Arbeitsplatz sexueller Belästigung und Gewalt ausgesetzt war. Bei den Männern war es jeder zehnte (fünf Prozent). Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) berichtet, dass mindestens jede:r vierte Angestellte bereits sexuelle Gewalt, Belästigung und Diskriminierung an der Arbeitsstelle erlebt hat. Deshalb spricht der Verband auch von einem „gesamtgesellschaftlichen Problem“.

Besonders gefährdet sind Frauen in der Probezeit, in ungelernten Berufen und ungesicherten Arbeitsverhältnissen, in der Ausbildung und ohne festes Beziehungsgefüge am Arbeitsplatz, berichtet die Europäische Grundrechteagentur. Sprich: Bei den Täter:innen handelt sich um Personen, die in der Regel hierarchisch im Betrieb über den Betroffenen stehen oder zumindest auf einer Stufe. Nicht zu vergessen, dass es auch zu sexueller Belästigung durch Kund:innen kommen kann.

Ab wann beginnt sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?

Sexismus und sexuelle Belästigung beginnen nicht beim Griff unter den Rock der Kollegin, sondern viel früher. Laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) fällt unter sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz „jedes unerwünschte, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde der betroffenen Person verletzt“. Deshalb bezeichnet man solches Verhalten auch als Diskriminierung. Die Initiative „Stärker als Gewalt“ des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben erklärt, dass bereits „sexuelle Anspielungen, aufdringliche Blicke oder obszöne Worte und Gesten“ sowie „Nachrichten mit sexuellem Inhalt“ unter sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz fallen. Ebenso unerwünschte erotische oder pornografische Bilder, die am Arbeitsplatz veröffentlicht werden.

Zudem kommt es vor, dass Täter:innen einen Handel vorschlagen, etwa dass Mitarbeitende im Austausch mit sexuellen Handlungen berufliche Vorteile erhalten – oder wenn nicht, Nachteile zu erwarten haben. Dabei muss es nicht vorrangig um Sex gehen. Ein „Ich bin so verspannt, kannst du mir den Nacken massieren?“ führt bei den Angesprochenen schnell zu einem unguten Gefühl.

Wer sich dementsprechend verhält, macht das bewusst und geplant, erklären Expert:innen. Das scheinbar versehentliche Berühren von Po und Brüsten im Vorbeigehen ist in der Regel alles andere als versehentlich. Und das kommt häufig vor. Der Arbeitsplatz gehört für 41 Prozent der Frauen und 45 Prozent der Männer zu den Orten, an denen Sexismus vorkommt, wie aus einer Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums hervorgeht.

Seximus oder nur ein Flirt?

In einer Studie von OnePoll im Auftrag von Viking gaben von 1000 befragten Arbeitnehmer:innen 42 Prozent an, schon einmal mit jemandem aus der gleichen Firma ausgegangen zu sein. Ob Sexismus und Flirts miteinander Hand in Hand gehen, zeigt das Video.

Wie sollten Betroffene von sexueller Belästigung reagieren?

An wen sich Betroffene sexueller Belästigung wenden können, ist nicht in jedem Unternehmen klar. „Leider fehlt es in vielen Betrieben immer noch an Prävention und funktionierenden Beschwerdestrukturen zum Schutz vor Diskriminierung. Gleichzeitig kennen viele Betroffene ihre Rechte nicht“, heißt es seitens der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Eine Studie der Stelle zeigt, dass viele Beschäftigte nichts gegen sexuelle Belästigungen unternehmen, obwohl „sie fast durchweg als erniedrigend, bedrohlich oder psychisch belastend wahrgenommen werden“. Das liegt unter anderem daran, dass einige nicht einschätzen können, wie ihre Vorgesetzte oder ihr Vorgesetzter auf die Beschwerde reagieren würde. Sie haben Angst, die Situation falsch einzuschätzen oder nach der Beschwerde Nachteile zu erfahren.

Die Antidiskriminierungsstelle empfiehlt Betroffenen, zunächst der handelnden Person deutlich zu signalisieren, dass man sich sexuell belästigt fühlt. Dabei ist es legitim, Konsequenzen anzukündigen. Was auch hilft: Sich an vertrauensvolle, verschwiegene Kolleg:innen wenden und diesen die Situation schildern. Ein weiterer Tipp: Die einzelnen Vorfälle der sexuellen Belästigung dokumentieren, um diese belegen zu können.

Sollte das nicht helfen, gilt es, sich an eine entsprechende Stelle zu wenden, etwa Frauenbeauftragte, Gleichstellungsbeauftrage, die Teamleitung oder den Personalrat. Der Arbeitgeber muss dann dafür sorgen, dass es nicht mehr zu solchen Vorfällen kommt. Sollte er das nicht tun, haben Betroffene das Recht, nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen – vorausgesetzt, sie haben den Arbeitgeber darüber aufgeklärt. Laut der Antidiskriminierungsstelle ist das jedoch das „letzte Mittel“.

Zudem können Betroffene das Fehlverhalten auch bei der Polizei anzeigen und rechtliche Hilfe einholen. Deutschlandweit gibt es verschiedene Anlaufstellen für Personen, die sexuell belästigt werden, etwa die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ oder verschiedene Frauenberatungsstellen.

Eine verheerende Schutzlücke existiert jedoch, wenn die sexuelle Belästigung vom Arbeitgebenden selbst ausgeht, etwa der Inhaberin, dem Inhaber oder der Geschäftsführung. In diesen Fällen bleibt Mitarbeitenden oft nur die Kündigung. Schließlich werden Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sich nicht selbst sanktionieren.

Wie können Führungskräfte sexueller Belästigung vorbeugen?

Arbeitgebende und Führungskräfte können einen erheblichen Anteil zum Schutz vor sexueller Belästigung beisteuern. Sie sollten über deren Warnzeichen und Mechanismen Bescheid wissen, um sie vermeiden und ihr entgegentreten zu können. Ein guter Anfang hierfür ist die Broschüre „Gemeinsam gegen Sexismus“, die im Jahr 2019 von einem Dialogforum, bestehend aus großen Unternehmen sowie der Antidiskriminierungsstelle, entworfen wurde. Der Ratgeber beschreibt Maßnahmen, die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber treffen sollten, um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu unterbinden.

Eine der Empfehlungen lautet etwa, Leitlinien für Führungskräfte und Mitarbeitende zu erstellen und Informationsmaterialien zu verteilen. Ebenfalls hilfreich ist es, ein Sensibilisierungstraining durchzuführen, um eine kritische Haltung gegenüber Stereotypen und subtilen Sexismen zu erzielen. Große Unternehmen sollten zudem eine offizielle Beschwerdestelle einrichten – und diese auch bekannt machen.

Laut dem AGG sind Arbeitgebende verpflichtet, gegen alle anderen Formen sexueller Diskriminierung vorzugehen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Alle Beschäftigten haben das Recht, sich zu beschweren, wenn sie das Gefühl haben, benachteiligt worden zu sein – das gilt auch für sexuelle Belästigung. Nach einer Beschwerde muss das Unternehmen sich mit dieser auseinandersetzen, sie prüfen und im Anschluss die betroffene Person informieren. Absolutes No-Go: Die geschädigte Mitarbeiterin oder den geschädigten Mitarbeiter nicht ernst zu nehmen, abzumahnen oder zu kündigen.

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