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Foto: iStock / SIphotography

Vom Aussterben bedroht: die vergessenen Sprachen Europas

Einst in Europa weit verbreitet, werden diese Sprachen heute nur noch von wenigen beherrscht. Sprachwissenschaftler und Minderheitenbewegungen bemühen sich um ihren Erhalt.

Über 3000 Meter hoch ragen die Berge in Südtirol. Wie mächtige Mauern, ein Bollwerk gegen den Strom der Zeit, umschließen sie ein Land, das keines ist – Ladinien. Ladinien, das sind fünf Täler, nicht mehr, die sich über Jahrhunderte hinweg eine eigene Sprache und Kultur bewahren konnten. Rund 30.000 Menschen sprechen hier noch Ladinisch, ein Überbleibsel des einst gängigen Vulgärlateins, das sich hier, im abgeschiedenen Alpenraum, halten konnte. Heute ist Ladinisch eine der kleinsten Sprachen Europas – und vom Aussterben bedroht.

Vielfalt in Gefahr

Nicht nur Ladinisch, auch zahlreiche andere Regional- und Minderheitensprachen in Europa geraten zunehmend in Vergessenheit. Manche von ihnen, wie etwa Livisch oder Wilmesaurisch, werden sogar nur noch von einer Handvoll Menschen gesprochen. Wie viele Sprachen insgesamt vom Aussterben bedroht sind, ist schwer zu sagen – die Zahlen schwanken, je nach Definition. Der Sprachwissenschaftler Tapani Salminen von der Universität Helsinki errechnete, dass von 136 europäischen Sprachen gerade mal 31 nicht gefährdet sind.

 23 von ihnen sind in der EU als Amtssprache anerkannt. Die UNESCO wiederum veröffentlichte bereits einen „Atlas bedrohter Sprachen“, in dem sie – inklusive der Türkei und Russland – auf 300 europäische Sprachen kam. 277 davon sollen gefährdet oder sogar bereits ausgestorben sein.

Andere Sprache erscheint erstrebenswerter

„Sprachen sterben immer dann aus, wenn die Mitglieder der Sprechergemeinschaft eine andere Sprache bevorzugen – beispielsweise, weil sie mehr Prestige verspricht“, sagt Jost Gippert, Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Frankfurt. „Schon in der Antike sind Sprachen verschwunden. Aber in den letzten tausend Jahren hat dieser Prozess sehr vehement stattgefunden.“ Von den rund 400 Sprachen beispielsweise, die einst in Nordamerika gesprochen wurden, sind nur noch 20 erhalten. Neben politischen Motiven spielen auch Massenmedien und die zunehmende Globalisierung in diesem Prozess eine Rolle. Mit den Sprachen verschwindet ein Stück Geschichte, eine Kultur – und manch eine regionale Besonderheit.

Offizieller Schutz reicht nicht

In der EU erhalten einige gefährdete Sprachen besonderen Schutz durch die 1998 erlassene Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Gippert allerdings sieht dieses Programm kritisch: „Die Charta ist eher eine Absichtserklärung und wurde noch nicht einmal von allen Ländern unterschrieben. Frankreich zum Beispiel, wo das Bretonische gefährdet ist, hat nicht unterzeichnet.“ Dabei sind gerade die keltischen Sprachen, zu denen neben Bretonisch auch Irisch und Schottisch gehören, besonders bedroht.

„Das Selbstverständnis ist wichtig“

Zahlreiche Projekte bemühen sich um die Dokumentation gefährdeter Sprachen – das Netzwerk bedrohter Sprachen DOBES etwa, oder das neue interdisziplinäre EU-Forschungsprojekt ELDIA (European Language Diversity for All). „Ob eine Sprache aber tatsächlich erhalten bleibt, liegt an der Sprechergemeinschaft“, sagt Gippert, „an ihrem Selbstverständnis und dem Willen, die Sprache zu erhalten. Sprachwissenschaftler können sie höchstens dabei unterstützen.“ Dass das möglich ist, zeigt die Insel Hawaii: Hier stand die Sprache der Ureinwohner kurz vor dem Aussterben. Heute jedoch ist Hawaiisch wieder sehr beliebt, es gibt hawaiische Radiosendungen, Schulen – und die örtlichen Sprachkurse können die Bewerberzahl kaum stemmen.

Wiederbelebung der toten Sprachen

Auch in Europa gibt es Versuche, vergessene Sprachen wieder zum Leben zu erwecken. Seit einigen Jahren bemüht man sich beispielsweise im englischen Cornwall, das einst hier verbreitete Kornisch wieder einzuführen. Da die letzten Sprecher allerdings im 18. Jahrhundert verstorben sind, wurde die Sprache von Wissenschaftlern rekonstruiert. Mit einem kleinen Erfolg: Im Jahr 2000 wurde bereits in 13 Familien Kornisch wieder gesprochen – deren Kinder wuchsen mit der Sprache als Muttersprache auf.

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