Welt der Wunder

Nicht glauben, sondern wissen

Wie viele Delfine müssen für Thunfisch und Lachs sterben?

Was darf ich essen, wenn ich das Leben im Ozean schützen will? 41 Prozent der Deutschen vertrauen bei ihrer Kaufentscheidung auf das blaue Logo des „Marine Stewardship Council“ (kurz: MSC), das sich hierzulande auf mehr als der Hälfte aller verkauften Fischprodukte wiederfindet. Doch wie vertrauenswürdig ist das Siegel wirklich?

Werden die Standards auch eingehalten? Fakt ist: Das Logo soll vor allem garantieren, dass es zu keiner Überfischung kommt und dass das Ökosystem des Meeres nicht gefährdet wird. Der Biologe Rainer Froese vom Kieler Geomar-Institut war lange ein Fürsprecher des MSC – bis er 130 zertifizierte Fischereien untersuchte. Ergebnis: Ein Drittel der Bestände werden überfischt, und viele Betriebe schädigen das Ökosystem.

Besonders starke Kritik übt Froese an der Praxis des MSC, Grundschleppnetz-Fischerei in der Ostsee zu zertifizieren. Die umstrittene Fangmethode ist etwa im Öresund verboten, da sie den Meeresboden in eine Schlammwüste verwandelt. „Warum der MSC diese Zerstörung in Naturschutzgebieten mit einem Label belohnt, ist mir ein Rätsel“, meint Froese.

Tausende Delfine sterben

Doch laut Insidern werden auch in anderen Teilen der Welt Betriebe lizenziert, die die MSC-Standards offen verletzen. So macht man im Pazifik vor Mexiko mit Hubschraubern und Schnellbooten Jagd auf Thunfische. Am Ende wird ein Ringwadennetz abgelassen und zugezogen. Mit eingeschlossen: Delfine, die mit den Thunfischen eine Fressgemeinschaft bilden. Kritiker sagen, Tausende von ihnen verenden in den Netzen – dabei ist das Töten von Säugetieren wie Delfinen als Fangmethode verboten. MSC-Boss Rupert Howes gibt die Praxis sogar offen zu: „Bedauerlicherweise werden bei dieser Fischerei einige Delfine getötet, aber auf ihrem Weg zur Zertifizierung haben die Mexikaner unglaublich hart an der Verbesserung der Fangmethode gearbeitet.“ Dadurch sei die Zahl auf nur noch 482 tote Delfine pro Jahr gesunken. 

Zu der Kritik am MSC hat Howes eine klare Meinung: „1.200 nachweisbare Verbesserungen in Fischereien rund um die Welt belegen, dass die Zertifizierung zu anhaltenden Veränderungen führen kann. Worum geht es hier also? Die zehn Prozent der besten Fischereien noch perfekter zu machen? Oder ist es nicht besser, alle reinzuholen, um die Fischerei insgesamt in Richtung Nachhaltigkeit zu schieben?“ Schon jetzt sind 12 Prozent der weltweiten Betriebe MSC-gelabelt, langfristig soll jedes dritte Produkt das Zertifikat bekommen. Was dabei kaum jemand weiß: Für jeden verkauften Fischartikel mit seinem Logo erhält der MSC eine Lizenzgebühr – das macht etwa 17 Millionen Euro im Jahr. Diese Gewinnbeteiligung ist der Kern des Problems, sagt Daniel Pauly, der den MSC einst mitgegründet hat. „All diese Leute im System wissen, dass nur eine Zertifizierung Geld in den MSC spült. Das ist ein Anreiz, zu einem positiven Prüfergebnis zu kommen“, erklärt der Meeresbiologe. Sein Fazit: „Der MSC ist auf die dunkle Seite gewechselt – vollkommen. Er ist von der Industrie gekapert worden.“
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