- Anna Vogt
- 06.05.2024
Abschied von der Bühne: Die Rockband KISS verwandelt sich in digitale Avatare
Es war der perfekte Abschluss einer musikalischen Ära. Am 2. Dezember 2023, nach fast 50 Jahren auf der Bühne, verließ die Band KISS zum letzten Mal in Fleisch und Blut die Konzertbühne. Auf kleinen Hebebühnen schwebten die Musiker Richtung Hallendach empor und verschwanden in einer großen Nebelwolke. Sänger Paul Stanley verabschiedete sich vom Publikum mit den Worten: „Wir sehen uns in euren Träumen.“ Zeitgleich erklangen die ersten Töne des KISS-Klassikers „God Gave Rock ‘n’ Roll to You“ im Madison Square Garden in New York.
Das Ende einer Ära wird zum Beginn eines digitalen Vermächtnisses
Plötzlich erschienen auf einer großen Leinwand in einer futuristischen Umgebung die überlebensgroßen Avatare von Paul Stanley, Gene Simmons, Tommy Thayer und Eric Singer. Die digitalen Zwillinge zeigten die Musiker in ihren jüngeren Jahren. Mit all den Charakteristika, die sie bei der Erschaffung ihrer Alter Egos vor vielen Jahrzehnten angenommen hatten. Und so gaben die KISS-Avatare mit ikonischem Make-up und in Fantasy-Kostümen das Schlusslied zum Besten.
Für mich als Fan, der die Band dreimal live gesehen und das letzte Konzert per Pay-per-View verfolgt hat, war diese virtuelle Transformation zunächst eine Überraschung. Doch je mehr ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich, dass die Wiedergeburt als digitale Avatare der einzig angemessene Weg für KISS ist, von der Bühne Abschied zu nehmen. Die US-amerikanische Band ist für ihr geniales Marketing bekannt und stellt durch ihre virtuelle Unsterblichkeit sicher, dass für Generationen von Fans und diejenigen, die nachkommen werden, ihre musikalischen Idole nie wirklich verschwinden werden.
ABBA ist Vorreiter – jetzt kommt KISS
Als sich die Popgruppe ABBA vor fast 30 Jahren auflöste, war die Technologie noch nicht so weit fortgeschritten. Die schwedische Combo, bekannt durch Hits wie „Dancing Queen“ und „Waterloo“, wurde jedoch zum Pionier einer technologischen Revolution, indem sie sich durch Motion-Capturing als Avatare widererschaffen ließ.
Für die Fans war es eine unverhoffte Rückkehr des Quartetts, das im Mai 2022 mit seiner „ABBA Voyage“-Show in London auf die Bühne zurückkehrte. Die singenden und tanzenden Abbatare faszinierten das Publikum und setzten damit einen Meilenstein in der digitalen Revolution. Wie muss es sich für die Bandmitglieder angefühlt haben, ihre jüngeren Abbilder bei der Premiere auf der Bühne performen zu sehen?
ABBAs Rückkehr als Avatare auf die Bühne
Ähnlich wie ABBA arbeitet auch KISS für die Erschaffung eines immersiven digitalen Erbes mit Industrial Light & Magic (ILM) zusammen. ILM ist ein Unternehmen, das von George Lucas gegründet wurde und für die visuellen Effekte in Filmen wie Teil 1-8 der „Star Wars“-Reihe bekannt ist. Neben ILM spielt auch die Pophouse Entertainment Group, der Hauptentwickler der ABBA Voyage Show, eine entscheidende Rolle.
Das ILM-Team vermaß, scannte und fotografierte die Bandmitglieder von KISS, bevor sie in Motion-Capture-Anzüge schlüpften und ihre Instrumente in die Hand nahmen. So ausgestattet performten die Musiker ihre Songs, während ihre Bewegungen bis ins kleinste Detail von speziellen Sensoren erfasst wurden. Zusätzlich kam eine Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz, die alte Videos von Auftritten der Band analysierte, um die typischen Bewegungsabläufe von Stanley, Simmons, & Co. digital zu rekonstruieren. Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was die Fans erwarten wird, gab der erste Auftritt der KISS-Avatare beim Abschlusskonzert im Big Apple.
In Interviews sagte Paul Stanley zuvor, die Band KISS sei größer als die Mitglieder selbst. Sie verdiene es weiterzuleben, denn sie gehöre den Fans. In Zukunft werden also die KISS-Avatare die Bühne betreten – und die Rockmusiker können in den Ruhestand gehen. Ein wohlverdienter Abschied von der Bühne, denn immerhin sind die Mitglieder von KISS mittlerweile um die 70 Jahre alt. Und nach einem halben Jahrhundert auf Tour wird auch Bassist Gene Simmons sein Kostüm zu schwer; es wiegt rund 18 Kilogramm.
Auf ihrer offiziellen Website teilt KISS mit den Fans viele Einblicke der spannenden Reise ihrer Transformation zu digitalen Avataren.
Interview mit KISS zu ihrem digitalen Erbe
Hightech ermöglicht Unsterblichkeit im Metaverse
Die Band KISS hat ihre physische Existenz durch den Übergang in die digitale Welt transformiert. Doch wie sieht es mit uns Normalsterblichen aus? Könnten Sie sich vorstellen, für immer als Avatar weiterzuleben? Oder ist es etwa genau die begrenzte Zeit, die unser Leben so einzigartig macht?
Im Metaverse – wie auch seit Jahrzehnten in Computerspielen – können Nutzer eigene Avatare erstellen, die teils sehr realistisch aussehen. Heutzutage ist die Erstellung eines Avatars nicht mehr nur auf ein Baukastenprinzip mit verschiedenen Körpern und Kleidungsstücken beschränkt. Inzwischen können auch eigene Fotos hochgeladen werden, die mittels modernster Technologie in einen lebensechten 3D-Avatar umgewandelt werden.
Für ihre beeindruckend realistischen digitalen Zwillinge nutzen Künstler wie ABBA oder KISS teure Motion-Capturing-Technologie. Diese Technologie wird z. B. auch in Computerspielen und Hollywood-Blockbustern verwendet. Am Ende ist die Illusion so immersiv, dass kaum zwischen Realität und Simulation unterschieden werden kann.
Wie funktioniert Motion Capturing?
Diese Marker sind strategisch an wichtigen Punkten wie Gelenken (Ellbogen, Knie usw.) angebracht und werden von mehreren Kameras verfolgt, um die Bewegung der Marker im dreidimensionalen Raum zu erfassen. Die Informationen der Kameras werden an einen Computer gesendet, wo eine spezielle Software die Daten verarbeitet.
Die Software erstellt eine digitale Darstellung der Bewegung, die dann auf ein 3D-Modell abgebildet wird. Das Ergebnis ist eine lebensechte Animation eines Avatars, der die Bewegungen der erfassten Person perfekt imitiert.
Entstehung der KISS-Avatare
Digitale Zwillinge dank KI
Der Tag wird kommen, an dem auch Privatpersonen als lebensechte Avatare existieren werden. Um digitale Unsterblichkeit zu ermöglichen, muss künstliche Intelligenz (KI) zu Lebzeiten einer Person erlernen, was deren Wesen ausmacht. Mit Zugang zu unseren persönlichen biometrischen Daten kann eine KI dann nicht nur unsere Stimme und unsere Emotionen klonen, sondern auch unser Sozialverhalten und unsere Vorlieben analysieren. Der persönliche Avatar kann somit unsere Denkweise sowie unseren Lebensstil übernehmen und wichtige Lebensereignisse archivieren.
Natürlich spielt Datenschutz dabei eine bedeutende Rolle. Der Umgang mit personenbezogenen Daten ist ein zentrales Thema für Metaverse-Plattformen wie auch das MILC Metaverse. Blockchain-Technologie wird durch Dezentralisierung, Kontrolle von Dateneigentum, Smart Contracts und Identitätsmanagement einen wichtigen Beitrag zur Datensicherheit leisten.
In einer virtuellen Welt kann der Avatar zu einem digitalen Zwilling von uns selbst werden. Er begleitet uns zu Lebzeiten und hinterlässt nach unserem Tod einen unsterblichen digitalen Fußabdruck, wenn wir dies wünschen.
Stellen Sie sich vor, Ihre Kinder gründen selbst eine Familie. Wie schön wäre es, für immer für die eigenen Kinder und Enkelkinder da zu sein? Selbst wenn der Tag kommt, an dem wird diese Welt physisch verlassen müssen, bleibt der eigene Avatar als Vermächtnis bestehen. Der Verstorbene kann seine Familie und Freunde weiterhin begleiten und an ihrem Leben teilhaben. Der Avatar sieht die Enkel und sogar Urenkel aufwachsen, liest ihnen Gute-Nacht-Geschichten vor und steht ihnen mit Rat und Erfahrung zur Seite.
Digitales Jenseits: Avatare werden die Trauerkultur verändern
Wie wir um Menschen trauern, die als Avatare weiterleben, könnte sich ebenso ändern. Auch wenn geliebte Menschen physisch nicht mehr bei uns sind, werden wir weiterhin ihre Stimmen hören, ihren Geschichten aus der Vergangenheit lauschen und gemeinsam alte Fotos anschauen. Können Sie sich vorstellen, Ihre Großmutter, die Sie als Kind verloren haben, in einer virtuellen Welt wiederzusehen?
Und wie würde sich der Trauerprozess verändern? Wäre es weniger schmerzhaft und tröstlicher für die Hinterbliebenen, wenn sie wüssten, dass die Verstorbenen als Avatare weiterleben? Im Metaverse könnten in Zukunft digitale Gedenkstätten ein alltäglicher Anblick werden. Konzepte, wie digitale Unsterblichkeit unsere Trauerkultur verändern könnte, stecken allerdings noch in den Kinderschuhen.
Potenziale und Gefahren von unsterblichen Avataren
Avatare können vielfältige Formen annehmen. Während meiner Recherchen stieß ich unter anderem auf ein Video, das einen der letzten noch lebenden Holocaust-Überlebenden als Avatar zeigte. Es gibt wohl kaum eine bessere Möglichkeit, um einen Zeitzeugen über das Leben von damals zu berichten und mit nachfolgenden Generationen interagieren zu lassen.
Obwohl viele positive Aspekte für das ewige Leben als Avatar sprechen, gibt es auch Bedenken. Was würde beispielsweise passieren, wenn in Zukunft Kriminelle oder Diktatoren im Metaverse bis in alle Ewigkeit herrschen würden? Wer entscheidet, ob jemand auf unbestimmte Zeit im Metaverse existieren darf? Brauchen wir eine Cyberpolizei und digitale Richter, um solche Entscheidungen zu treffen?
Neue immersive Erlebnisse warten auf uns
KISS-Fans warten gespannt auf die ersten virtuellen Konzerte ihrer musikalischen Idole. Wie wird die Konzertatmosphäre sein und wie wird die Interaktion mit den Avataren aussehen? Welche weiteren Möglichkeiten werden neue Avatar-Technologien erlauben? Eines ist jetzt schon sicher: Der Einstieg in eine immersive Zukunft mit digitalen Avataren wird für viele Musiker ungeahntes Potenzial bieten.
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