- Welt der Wunder Redaktion
- 06.12.2021
Innerhalb weniger Jahrzehnte erschufen die Inka das größte Reich, das in Südamerika je existierte. Mit 4.600 Kilometern erstreckte es sich auf eine Länge, die etwa der Entfernung Deutschlands zum Sudan entspricht. Durch Wüsten und Hochgebirge erbauten die Inkas ein 40.000 Kilometer umspannendes Straßensystem, die Lebensadern des Reiches.
Sie unterwarfen 250 Völker und bauten prunkvolle Städte und Tempel, die noch heute von Touristen aus aller Welt bestaunt werden. Ihre landwirtschaftlichen Bewässerungssysteme in mehreren Tausend Meter Höhe brachten sie zu einer derartigen Perfektion, dass kein Mensch im Inkareich Hunger leiden musste. Auch auf dem Gebiet der Chirurgie waren ihre Kenntnisse unvergleichlich zu jener Zeit: Sie führten bereits Schädel-Operationen mit einer Präzision durch, von der wir Europäer damals nur träumen konnten.
Zehn Millionen Menschen bevölkerten das Inka-Imperium, als plötzlich 250 Gestalten südamerikanischen Boden betraten, die den Einheimischen höchst seltsam erscheinen mussten. Großgewachsene Weiße, denen Haare aus dem Gesicht sprießen, auf den Rücken ungeheuerlicher Vierfüßler, weit größer als Lamas. Was die ahnungslosen Beobachter der Inka mit Neugier verfolgten, stellte sich als die größte Bedrohung heraus, der das Inka-Reich jemals ausgesetzt war.
Ein Schweinehirt will die Neue Welt erobern
Von hier aus nahm Pizarro an mehreren Erkundungsfahrten in die Neue Welt teil, bevor er 1528 noch einmal nach Spanien zurückkehrte. Mit knapp 60 Jahren hatte er längst das Alter erreicht, um in den Ruhestand zu gehen. Angestachelt vom Triumph des Eroberers Hernán Cortés über das Aztekenreich und den Berichten über unermessliche Goldschätze im Süden, setzte der Abenteurer jedoch noch einmal alles auf eine Karte: In der Expedition seines Lebens wollte er seinen Traum von grenzenlosem Ruhm und Reichtum wahr machen, das Märchenland endlich finden und erobern.
Im April des Jahres 1532 war es soweit. Voller Erwartung landete der ehrgeizige Abenteurer Pizarro in der Bucht von San Mateo, an der Küste des heutigen Peru. 250 Mann konnte er in seiner spanischen Heimat für das waghalsige Unternehmen auftreiben. Desperados allesamt, die in ihrem Leben nichts mehr zu verlieren hatten. Die Gier nach Gold und Ruhm trieb sie über den Atlantik, in eine unbekannte Welt.
Das erste Gold gab den Abenteurern Kraft, es trieb sie weiter. Immer tiefer stießen sie gen Süden vor. In Gebiete, die vor ihnen noch kein Mensch der Alten Welt je betreten hatte. Einige Stämme erwiesen sich trotz des rauen Auftretens der Spanier als äußerst hilfsbereit. Manche schlossen sich den bärtigen Exoten auf ihrer Reise gar an. Die Spanier waren verblüfft – doch sie sollten den Grund für die Unterstützung bald erfahren.
Bruder-Krieg im Inka-Reich
Der Inkakönig wusste längst über die sonderbaren Eindringlinge Bescheid. Er hatte bereits von ihrer unbändigen Sucht nach dem gelben Metall gehört, das nur den Inka-Adel schmücken durfte. Dass diese gierigen Plünderer es auch auf sein Leben abgesehen hatten, ließ er sich nicht träumen.
In kürzester Zeit konnte so jeder Winkel des Imperiums erreicht werden. Schnellboten bewältigten in einem ausgeklügelten Ablöseverfahren innerhalb weniger Tage Tausende Kilometer. So blieb dem Inka-König keine Bewegung der Europäer verborgen. Aber nicht nur Nachrichten wurden überbracht; auch für Gütertransporte und Truppenbewegungen war das Straßensystem für die Inka von großem Vorteil – am Ende jedoch verhängnisvoll. Denn auch der spanische Eroberer wusste die ausgebauten Straßen auf seinem Marsch nach Cajamarca zu schätzen.
Und doch war es wohl Pizarros einzige Möglichkeit: mit einem Handstreich in dem zentralistischen Staat den Kopf auszuschalten. Im Inka-Reich hing alles von Atahualpa ab, nichts geschah ohne den Willen des Herrschers.
Der Tag der Entscheidung
Samstag, 16. November 1532. Im Morgengrauen rief Pizarro seine Leute zusammen und informierte sie über seinen Plan, den Herrscher der Inka gefangen zu nehmen. Die Soldaten bereiteten sich vor.
Pizarro beobachtete den eintreffenden Inka-Herrscher aus seinem Versteck. Jetzt begann der erste Teil seines tollkühnen Plans: er schickte den Pater Vicente de Valverde, begleitet von einem Dolmetscher, auf den Platz. Bestückt mit einer Bibel und einem Holzkreuz näherte sich der Geistliche langsam dem Gott-König Atahualpa. Was wollte er von ihm? Und wie würde der Inka-Herrscher reagieren?
Erfüllung einer Prophezeiung?
Das war das Zeichen zum Angriff, ein abgekartetes Spiel. Die spanischen Truppen stürmten aus ihren Verstecken und fielen über die unbewaffneten Indianer her. In nur einer halben Stunde schlachteten die Konquistadoren mit ihren Lanzen und Schwertern 7.000 wehrlose Menschen ab. Atahualpa wurde gefangen genommen. Unter den Spaniern hingegen gab es keinen einzigen Verletzten.
Warum das Heer der Inkas nicht eingriff, ist nach wie vor eines der größten Rätsel der Geschichte. Ein Rätsel, das der Historiker William Sullivan lösen möchte. Er ist sich sicher: Es gibt einen Grund, weshalb die Inka tatenlos zusahen, wie ihr Reich in die Hände der Spanier fiel. Dieser Grund lag Sullivan zufolge in den Sternen. Der Historiker hat erforscht, welch immense Bedeutung die Inka den Sternen der Milchstraße beimaßen. Sie nannten die Milchstraße „maju“, den Fluss. Dieser Fluss galt den Inka als Brücke, eine Verbindung zwischen den Menschen und der Welt der Götter.
Der gefangene Inkafürst Atahualpa wusste genau, dass die Fremdlinge es auf das gelbe Edelmetall abgesehen haben. Er versuchte, mit Pizarro zu verhandeln und bot ihm an, für seine Freilassung einen 35 Quadratmeter großen Raum bis zur Decke mit Gold und zwei weitere mit Silber zu füllen. Dem Spanier glänzten die Augen bei dieser Vorstellung. Nach kurzer Überlegung ließ er sich auf den Handel ein.
Aus dem ganzen Land brachten die Inka Schmuck und andere Wertgegenstände aus purem Gold. Es war der größte Schatz, der in der Neuen Welt jemals erbeutet wurde. In ihrer Ignoranz ließen die Spanier alles einschmelzen, die Öfen brannten 34 Tage lang ohne Unterbrechung.
Der goldene Dolchstoß
Doch auch der spanische Eroberer Pizarro konnte sich nicht mehr lange über seinen Reichtum freuen. Acht Jahre später wurde ihm seine Gier nach Gold zum Verhängnis. Im Streit um Ruhm und Gold brachten ihn seine eigenen Landsleute in seinem Palast in Lima um.
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