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Von Stalingrad nach Schrottgorod: So haben sich Städtenamen verändert

Foto: Imago / Bernd Friedel

Von Stalingrad nach Schrottgorod: So haben sich Städtenamen verändert

Viele große Städte wechselten mehrfach ihren Namen – heute wissen viele gar nicht, dass sich hinter zwei verschiedenen Namen ein und dieselbe Stadt verbirgt.

Es ist nie zu spät, seinen Namen zu ändern: 1996, nach über fünfhundert Jahren, wurde die indische Stadt Bombay in Mumbai umbenannt. Damit erhielt sie ihren ursprünglichen indischen Namen zurück, der auf die Hindu-Göttin Mumbadevi zurückgeht. Obwohl Bombay ähnlich klingt, hat der Name einen anderen Hintergrund: Er stammt aus der portugiesischen Kolonialzeit – „Bom Bahia“ bedeutet „Gute Bucht“.

Mumbai ist nicht die einzige indische Stadt, die im Lauf der Zeit eine oder mehrere Namensänderungen durchgemacht hat. Als Zeichen der Lossagung vom Kolonialerbe und zur Rückbesinnung auf die ursprünglichen Wurzeln wurde Madras zu Chennai und Kalkutta zu Kolkata. Eine ähnliche Entwicklung fand auch in Afrika statt: Aus Salisbury in Simbabwe wurde Harare, aus Leopoldsville im Kongo wurde Kinshasa, aus Bathurst in Gambia Banjul und aus Lourenço Marques in Mosambik wurde Maputo.

Nomen est Omen

Der Name einer Stadt ist mehr als die schlichte Bezeichnung eines Ortes – er hat auch einen symbolischen Wert. Deshalb haben zum Beispiel herrschende Großmächte oder Diktatoren ein Interesse daran, repräsentativen Städten oder strategisch wichtigen Punkten ihren Stempel aufzudrücken. Der Name soll nach außen hin demonstrieren, welche Politik und welche Kultur hier vorherrschen. Ändert sich diese politische Situation, ändert sich meist auch der Name.

Istanbul etwa blickt auf eine besonders bewegte Geschichte zurück – und dementsprechend oft änderte sich auch der Name der Stadt. Ursprünglich wurde Istanbul von den Griechen als „Byzantion“, zu Deutsch Byzanz, gegründet. Als der römische Kaiser Konstantin I. viele Hundert Jahre später das Weströmische mit dem Oströmischen Reich verband, benannte er die Stadt in „Nova Roma“ um, das neue Rom. Ihm zu Ehren wurde die Stadt aber Konstaninopel genannt. Das war im Jahr 330 nach Christus. Im Volksmund waren zahlreiche weitere Namen für die Stadt geläufig, meist durch die unterschiedlichen Volksgruppen geprägt, die hier siedelten. Der Name Istanbul entstand zwar bereits im 15. Jahrhundert, wurde aber eher im religiösen Umfeld verwendet – als „Islam-Bol“. Der ursprüngliche Beiname der Stadt wurde nach 1930 offiziell.

Unter Stalins Stiefel

Die russische Stadt Wolgograd wiederum ist heute den wenigsten Menschen ein Begriff. Als „Stalingrad“ jedoch erlangte sie im Zweiten Weltkrieg traurige Berühmtheit. Denn die Schlacht von Stalingrad, die einen Wendepunkt in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs bedeutete, forderte insgesamt etwa 700.000 Tote. Bis heute ist die Stadt ein Symbol für die Schrecken des Krieges. Ursprünglich wurde Wolgograd 1589 als „Zarizyn“ gegründet, was „Gelber Sand“ bedeutet. Zu Ehren des russischen Diktators wurde sie 1925 in Stalingrad umbenannt. Den Namen Wolgograd – „Wolga-Stadt“ – erhielt sie 1961. Die sowjetische Regierung versuchte zu dieser Zeit, den grassierenden Stalin-Kult einzudämmen. 
Insgesamt waren damals elf europäische Städte nach Stalin benannt –  zum Beispiel der bulgarische Küstenort Warna, der früher „Stalin“ hieß, die tadschikische Hauptstadt Duschanbe, ehemals „Stalinabad“, oder auch das ukrainische Donezk, das einst „Stalino“ hieß.  Auch vor Deutschland machte der Stalin-Wahn nicht Halt: Das heutige Eisenhüttenstadt an der deutsch-polnischen Grenze trug zwischen 1953 bis 1961 den Namen Stalinstadt. Ursprünglich war dieses Stalinstadt ein Teil von Fürstenberg an der Oder und Sitz eines gigantischen Eisenhüttenkombinats. Nach 1961 wurde der mit dem übrigen Ort und Schönfließ (Lausitz) zu Eisenhüttenstadt vereint. Der wenig griffige Name der Stadt hat zu einer Vielzahl von Spitznamen geführt: Von „Hütte“ über „EiHü“ bis hin zu „Schrottgorod“ und „Blechbudencity“ waren dem kreativen Spott nie Grenzen gesetzt.

Mehr als ein Vorzeigesymbol

Wie viele Orte in Mittel- und Osteuropa wurde auch Chemnitz in Zeiten des Kommunismus umbenannt. Zwischen 1953 und 1990 hieß der die Stadt „Karl-Marx-Stadt“. Die DDR-Regierung wollte damit dem Vorbild des sozialistischen Denkens eine Ehre erweisen. Der Name Chemnitz hat – wie die meisten Orte im östlichen Deutschland – einen slawischen Ursprung. Die Sorben nannten den gleichnamigen Fluss, an dem die Stadt liegt, „Kamjenica“, was „steiniger Fluss“ bedeutet. Russlands prachtvolle Perle St. Petersburg wiederum macht sogar vier Namensänderungen durch: Von Peter dem Großen zu Beginn des 18. Jahrhunderts gegründet, wurde sie zunächst niederländisch „Sankt-Pieterburch“ genannt. Schon bald jedoch setzte sich „Sankt Petersburg“ durch. Dann, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, besann man sich auf die russischen Wurzeln und nannte die Stadt „Petrograd“, also „Peterstadt“. Zehn Jahre später, nach Lenins Tod, wurde sie ihm zu Ehren – und als leuchtendes Symbol für den Kommunismus – „Leningrad“ getauft. Erst nach dem Zusammenbruch der UdSSR erhielt Sankt Petersburg seinen ursprünglichen Namen zurück.

Einen besonders sperrigen Namen trug die niedersächsische Stadt Wolfsburg früher: Sie wurde als „Stadt des Kraft-durch-Freude-Wagens bei Fallersleben“ gegründet. Ursprünglich war sie eine reine Industriesiedlung für das Volkswagenwerk gewesen – die spätere Stadt bildete sich erst nach und nach außen herum. Der Grundstein für die „Stadt des Kraft-durch-Freude-Wagens bei Fallersleben“ wurde erst 1938 gelegt. Die Arbeiterstadt und einstiges Vorzeigesymbol des NS-Regimes ist damit eine der jüngsten Großstädte in Deutschland. Den Namen Wolfsburg erhielt die Stadt nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Er geht zurück auf ein gleichnamiges Schloss an der Aller, das im vierzehnten Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt wurde.

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