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Long Covid auch nach der Impfung! Das PostVac-Syndrom im Auge der Forschung

Foto: Envato / Rido81

Long Covid auch nach der Impfung! Das PostVac-Syndrom im Auge der Forschung

Mehr als 63 Millionen Menschen sind in Deutschland mittlerweile vollständig gegen das Covid-19-Virus geimpft. Stärkere Impfnebenwirkungen werden bei den mRNA-basierten Impfstoffen zwar nur äußerst selten gemeldet, aber dennoch kann die Impfung in einigen Fällen zum sogenannten PostVac-Syndrom führen.

Betroffene leiden nach der Impfung an Symptomen, die ganz ähnlich der Long-Covid-Erkrankung sind. Weil das PostVac-Syndrom sehr selten ist, ist es entsprechend noch schlecht erforscht. Für Betroffene ist es deshalb schwer, Hilfe zu bekommen.

Dass man nach einer Corona-Infektion an Long Covid erkranken kann, ist mittlerweile weithin bekannt. Nach einer Omikron-Infektion leiden einer britischen Studie zufolge etwa 4,5 Prozent der Betroffenen an länger anhaltenden Symptomen. Eine deutsche Studie geht sogar davon aus, dass in 20 bis 30 Prozent der Fälle auch sechs Monate nach einer Infektion noch gesundheitliche Beschwerden auftreten können.

Doch immer mehr häufen sich auch die Beschwerden von Menschen, die vollständig gegen das Virus geimpft sind. Interessant daran ist, dass es sich um vergleichbare Symptome handelt.

Wie selten ist das PostVac-Syndrom?

Etwa 0,02 Prozent aller Geimpften könnten betroffen sein, so schätzt Bernhard Schieffer, Leiter der Spezialambulanz für das PostVac-Syndrom in Marburg, gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Prozentual ist das zwar recht wenig, aber dennoch gehen die Fälle bereits in die Zehntausende. Die Dunkelziffer könnte sogar höher sein, entsprechend sind Ärzte und Forscher alarmiert.

Allein in der Ambulanz in Marburg werden seit Januar etwas über 200 Fälle behandelt. Auf der Warteliste stehen jedoch deutlich mehr Menschen. Im Moment warten noch rund 4000 Menschen auf einen Platz, wie Ann-Christin Schäfer, Ärztin in der Marburger Ambulanz verrät.

Nicht jeder davon leidet zwangsläufig am PostVac-Syndrom. „Aktuell müssen wir noch alle Patienten persönlich sehen und eine umfangreiche Untersuchung durchführen.“

Es gibt noch keinen typischen Wert, der die Krankheit eindeutig nachweist. Vielmehr gibt es viele unterschiedliche Laborwerte, die auf das Syndrom hindeuten. Auch ist die Befragung der Patienten, die sogenannte Anamnese, sehr wichtig.

Durch vorliegende Daten kann man heute zumindest den Zeitpunkt ermitteln, wann die PostVac-Symptome meistens auftreten. „Das passiert meist eine bis drei Wochen nach der Impfung“, erklärt Ann-Christin Schäfer, „in einigen Fällen sogar bereits unmittelbar darauf.“

Diese Symptome sind typisch für das PostVac-Syndrom

Das PostVac-Syndrom ist sehr komplex. Betroffene klagen über eine Vielzahl an Symptomen, was auch daran liegt, dass unterschiedliche Organsysteme betroffen sein können.

Die Beschwerden reichen von leicht bis schwerwiegend. Besonders häufig scheinen aber neurologische Probleme zu sein. Ein Kribbeln in den Händen oder Füßen oder sogar brennende Arme und Beine.

Auch können ständige Kopfschmerzen und Einschränkungen der Wahrnehmung auf die Krankheit hinweisen. „Typisch ist auch der sogenannte ‚Brainfog‘ also eine Art Benommenheit“, berichtet Schäfer. Herzbeschwerden können ebenfalls auftreten. Dazu zählen Herzrasen, Schwindel oder Bluthochdruck.

Long Covid auch nach der Impfung! Eine ältere Frau erhält die Corona-Impfung: Schwindel beim Blick auf die Füße

MargJohnsonVA | Envato

Ähnlich wie bei Long Covid zählen zu den Symptomen des PostVac-Syndroms Schwindel und Benommenheit.

Bei einigen Patienten kommen auch gastroenterale Symptome wie Durchfall, Bauchschmerzen oder plötzliche Allergien hinzu. Die Symptome sind also einer Long-Covid-Erkrankung sehr ähnlich. Ob das Syndrom nun von der Impfung oder dem Virus selbst ausgelöst wurde, lässt sich deshalb nur durch den zeitlichen Zusammenhang bestimmen.

„Für uns als Ärzte ist es aber auch egal, ob ein Patient nun an Long Covid oder dem PostVac-Syndrom leidet“, sagt Schäfer. Das liegt daran, dass für beide Krankheitsbilder ähnliche Ursachen angenommen werden.

Wie entsteht das PostVac-Syndrom?

Was genau das Syndrom auslöst, ist noch nicht ausreichend erforscht, es gibt aber Anhaltspunkte. „Was wir sehen, ist dass es zu einer sogenannten Hyperinflammation kommt, also einer Überreaktion des Immunsystems. In den Untersuchungen versuchen wir dann unter anderem zu klären, warum das Immunsystem nicht wieder abschalten kann“, erklärt Ann-Kathrin Schäfer.

Es könnten auch andere Infektionen im Körper dafür verantwortlich sein. Viele Patienten litten schon vorher an einer Autoimmunerkrankung. Zudem zeigt sich in den ersten Auswertungen der Klinik, dass überraschenderweise besonders häufig junge Menschen, vor allem Frauen, betroffen sind.

Wie kann PostVac-Patienten geholfen werden?

Eine wirkliche Therapie für das PostVac-Syndrom gibt es laut Ann-Kathrin Schäfer aktuell noch nicht. In der Marburger Klinik setzt man vor allem auf eine entzündungshemmende Therapie.

Welcher Wirkstoff dabei angewendet wird, richtet sich stark nach den individuellen Beschwerden und Vorerkrankungen der Patienten.

Bei sehr starken Symptomen mit entsprechenden Laborwerten kommt auch eine Blutwäsche infrage. Antikörper oder Immunbotenstoffe sollen so aus dem Blut gefiltert werden. Zudem werden einzelne Symptome etwa durch eine Schmerztherapie behandelt.

Kaum Termine für PostVac-Patienten

Aktuell ist die Marburger Klinik eine von nur zwei Anlaufstellen für PostVac-Betroffene in Deutschland. Eine weitere befindet sich in der Charité in Berlin. Für Betroffene bedeutet das, dass es nur sehr schwer ist, professionelle Hilfe zu finden. Die Warteliste ist lang, die nächsten Termine in Marburg gibt es erst im kommenden Jahr.

Dennoch lernen die Ärzte immer mehr. „Wir hoffen, bald so weit zu sein, allgemeine Empfehlungen auch an Arztpraxen herausgeben zu können“, sagt Schäfer.

Ein wenig Hoffnung macht auch die Tatsache, dass sich die Beschwerden bei leichteren Fällen von selbst verbessern können. Für viele Patienten ist es aber vor allem die Unsicherheit, nicht genau zu wissen, was einem fehlt. Inzwischen haben sich deshalb im Netz einige hilfreiche Foren gebildet, in welchen man seine Erfahrungen mit anderen Betroffenen teilen kann. Unter www.nebenwirkungen-covid-impfung.org tauscht man sich z. B. über Medikamente und Ernährung aus und hat die Gelegenheit, sein eigenes Krankheitsbild mit anderen zu diskutieren.

Akut rät Ann-Kathrin Schäfer Menschen, die befürchten, am PostVac-Syndrom zu leiden, bewusster auf ihre Ernährung zu achten. Eine Histamin-arme Diät etwa könne entzündungshemmend wirken. Dazu tragen unter anderem Lebensmittel wie Frischkäse, junger Gouda oder Butterkäse sowie frisches Obst und Gemüse bei.

Um möglichst vielen Menschen helfen zu können, ist es aber vor allem wichtig, dass das Syndrom noch besser erforscht wird.

Neue Studien sollen mehr Informationen über das PostVac-Syndrom sammeln

Das Paul-Ehrlich-Institut plant deshalb hierzu eine groß angelegte Studie und auch die Universität Marburg sammelt unter anderem mithilfe eines Online-Fragebogens weitere Daten, die dabei helfen sollen, die Krankheit besser zu verstehen.

Erste Erfolge bei der Behandlung von Long-Covid-Symptomen sind bereits spürbar und man hofft, dass davon auch PostVac Erkrankte profitieren.

Das die Forschung zukünftig beide Krankheitsbilder im Blick behalten muss, ist dabei sicherlich unstrittig. Denn das Coronavirus und auch die Impfungen dagegen werden uns wahrscheinlich für immer begleiten. Entsprechend ist es notwendig, diejenigen, die unter den Folgen leiden, optimal zu betreuen.

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