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Die Republik Moldau und ihre Rolle im Russland-Ukraine-Krieg

Foto: Envao / Twenty20photos

Die Republik Moldau und ihre Rolle im Russland-Ukraine-Krieg

Tausende Flüchtlinge strömen in das kleine Land. Doch Sanktionen gegen Russland sind nicht geplant. Auf welcher Seite steht Moldau wirklich?

Der kleine Staat Moldau wird derzeit von Flüchtenden aus der Ukraine überrannt. Kein Nachbarland hat eine so hohe Pro-Kopf-Flüchtlingsrate. Aus Angst vor dem Krieg und seinen Konsequenzen verlassen die Moldauer:innen jedoch selbst ihr Land.

Elisa Deutschmann, Austrian Educational Coordinator im Kooperationsbüro der Agentur für Bildung und Digitalisierung (OeAD) in der Hauptstadt Chişinău, kennt die Lage genauer: „In der Bevölkerung ist die Sorge groß, dass der Konflikt auf die Republik Moldau, welche weder EU- noch NATO-Mitglied ist, übergreifen könnte.”

Allein die geographische Nähe zwischen der ukrainischen Hafenstadt Odessa und der moldawischen Hauptstadt Chişinău sorgt dafür, dass zahlreiche Moldauer:innen ihre Heimat zumindest temporär verlassen. Das kleine Land trägt im Verhältnis zu seiner Größe und Wirtschaftskraft die größte Last in Europa.

  • Das an Rumänien und die Ukraine grenzende Land hat 3,32 Millionen Einwohner:innen auf 33.843 km2 (die Größe entspricht in etwa Nordrhein-Westphalen, NRW hat allerdings über 17 Millionen Einwohner:innen).
  • Moldawien ist eines der ärmsten Länder Europas.
  • Der östliche Teil des Landes namens Transnistrien gilt als abtrünnige prorussische Separatistenregion.
  • Der Staat kämpft derzeit mit der höchsten Pro-Kopf-Flüchtlingsrate mit über 300.000 registrierten Geflüchteten.

Identitätskrise

Das 1991 aus der ehemals zweitkleinsten Sowjetrepublik hervorgegangene Land sucht bis heute seine Identität. Deutlich wird dies schon bei der Landessprache, die offiziell moldawisch, im Grunde aber rumänisch ist. Auch ukrainisch und russisch wird in Grenzgebieten gesprochen.

Der östliche Teil des Landes namens Transnistrien gilt als Separatistenregion. Das dortige von Russland gestützte Regime verfügt über eine eigene Regierung, Währung, Verwaltung und eigenes Militär. Die politischen Spannungen haben ihren Ursprung im Jahre 1992.

Damals kam es zum Krieg, als sich pro-russische Separatisten mit Moskauer Unterstützung von der Republik Moldau ablösten. Obwohl die Region völkerrechtlich zu Moldawien gehört, sind auch heute noch tausende russische Soldaten in Transnistrien stationiert. Transnistrien erkennt die Autorität der Regierung in Moldawiens Hauptstadt Chişinău jedoch nicht an.

Russland-Ukraine-Krieg als Moldawiens Transnistrien-Konflikt 2.0?

In einem Interview mit dem Medienhaus Deutsche Welle kommt der moldauische Sicherheitsexperte und ehemalige Verteidigungsminister Viorel Cibotaru zu Wort. Er sieht eindeutige Parallelen zwischen der Situation in der Ukraine und dem Krieg in Transnistrien vor 30 Jahren. „In beiden Fällen geht es um den Wunsch, die Sowjetunion zu bewahren beziehungsweise wiederherzustellen“. Und genau wie im Fall der selbsternannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk in der Ostukraine, seien auch Anfang der 1990er Jahre in Transnistrien „viele Fake News im Spiel gewesen”.

Ein weiteres Risiko liegt wieder einmal in der der geographischen Nähe. Die in Transnistrien stationierten russischen Soldaten könnten auch direkt in den Krieg gegen die Ukraine eingreifen. Doch Cibotaru warnt: „Die Truppen in Transnistrien sind wie ein alter Mann mit einem Gewehr aus der Zarenzeit, der sein Territorium markiert. Doch wenn es nötig ist, kommen ihm 30 Flugzeuge zu Hilfe”.

Neutralität a la Schweiz – Schein oder Sein?

Die soziale Infrastruktur Moldawiens ist an der Belastungsgrenze: aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine resultieren neben der Gasversorgung gleich mehrere innenpolitische Krisen. Neben dem massiven wirtschaftlichen Schaden durch den Verlust von Importen aus der Ukraine beklagt der Staat auch einen Vertrauenseinbruch seitens der Investoren in die gesamte Region.

Das Land hat dennoch bisher nicht die Absicht, sich den weltweiten Sanktionen gegen Russland anzuschließen oder Schritte zur Annäherung an die NATO zu unternehmen, so Außenminister Nicu Popescu. Er begründete diese Entscheidung mit der prekären Sicherheitslage und dem neutralen militärischen Status des Landes, der in der Verfassung verankert ist.

Vollkommene Abhängigkeit von Russland als alleinigem Gaslieferanten

Dass sich die Republik Moldau den Sanktionen gegen Russland nicht anschließt, liegt zu großen Teilen an der vollständigen Abhängigkeit vom russischen Gas. Die Verwundbarkeit durch diese Situation zeigte sich erst im September 2021: Nach dem Auslaufen der Lieferverträge verlangte der russische Gaskonzern Gazprom eine deutliche Preiserhöhung. Die Regierung in Chişinău rief daraufhin den Notstand aus. Schließlich konnte man sich aber einigen.

Die russische Invasion in die Ukraine hat nun aber auch in der Republik Moldau energiepolitische Überlegungen verstärkt in Gang gesetzt. Angedacht wird dabei eine Nutzung von Solarenergie, aber das liegt in weiter Ferne. Kurzfristiger könnte das Land Gas aus rumänischen Pipelines erhalten.

Blick in die Zukunft

Moldawien ist neben der Ukraine und Georgien bereits die dritte ehemalige Sowjetrepublik, die nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine der EU beitreten will. „Es hat 30 Jahre gedauert, bis Moldawien die Reife erlangt hat, aber heute ist das Land bereit, die Verantwortung für seine eigene Zukunft zu übernehmen“, sagt Präsidentin Maia Sandu und bezieht sich dabei auf den Zeitraum seit der Unabhängigkeit Moldawiens von der ehemaligen Sowjetunion im Jahr 1991. Mit dieser Geste zeigt das Land eine klare Tendenz, in welche Richtung es sich zukünftig entwickeln will.

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