Grauzone Designerdrogen: Konsum von "Legal Highs" nimmt weiter zu
- Von Welt der Wunder
- Gesundheit
- 07.09.2016
Seit geraumer Zeit befinden sich Designerdrogen auf dem Vormarsch: Substanzen aus dem Chemielabor, die als "Räuchermischungen“ oder "Badesalze“ verkauft werden und in ihrer Wirkung Cannabis, Kokain & Co. imitieren. Der Konsum dieser "Baukasten"-Drogen nimmt seit Jahren zu - auch, weil sie meist legal sind.

Zunehmender Konsum: Designerdrogen werden immer beliebter.
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Chemielabor statt Drogenplantage: Der Gesetzgeber tut sich schwer mit dem Verbot dieser Substanzen.
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Am (medialen) Anfang stand "Spice": Die Mischung mit den synthetischen Cannabinoiden JHW-018 und CP-47,497 machte im Herbst 2008 erstmalig Schlagzeilen.
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Zunächst war der Konsum von Spice legal - bis der Gesetzgeber die enthaltenen Wirkstoffe ins Betäubungsmittelgesetz aufnahm.
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Mittlerweile ist der Markt für mit Spice vergleichbare Designerdrogen enorm gewachsen und die Anzahl der Produkte schier unüberschaubar.
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Die verfügbaren Drogen sind auch vielfältiger geworden: Neben den Cannabis-ähnlichen "Räuchermischungen" werden unter anderem auch so genannte "Badesalze" verkauft, die in ihrer Wirkung Kokain oder Amphetamin imitieren.
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Kritiker sehen die aktuelle Drogenpolitik der Bundesregierung als einen der Hauptgründe für die Zunahme der Drogen aus dem Chemielabor - diese ermöglichen den Konsumenten derzeit eine Straffreiheit, die bei den "altbekannten" Drogen nicht gegeben ist.
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Die Drogenbeauftragte Mechthild Dyckmans sieht in den neuen Designerdrogen "unkalkulierbare gesundheitliche Risiken" für den Konsumenten.
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Sogenannte Badesalze, Räuchermischungen und Aromazigaretten werden legal in diversen Online-Shops angeboten.
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Chemielabor statt Drogenplantage
Mit dem Verbot der synthetischen Cannabinoide, die in Spice festgestellt worden waren, hatte sich das Problem aber nicht erledigt. Im Gegenteil: Die Hersteller reagierten und warfen neue Räuchermischungen auf den Markt, wieder beworben mit dem Hinweis auf deren Legalität. Und tatsächlich fanden sich in den meisten Nachfolgeprodukten keine der im Januar 2009 verbotenen künstlichen Cannabinoide, sondern chemisch abgewandelte Varianten davon. Die Wirkung war ähnlich wie zuvor und der Gesetzgeber zunächst wieder machtlos. Im Januar 2010 folgte dann die nächste Verbotswelle, wieder wurden einige synthetische Cannabinoide ins BtmG aufgenommen - und wieder reagierten die Hersteller mit einem Austausch der Substanzen. So geht es nun seit geraumer Zeit hin und her, ein Ende des Katz-und-Maus-Spiels ist derzeit nicht in Sicht.
„Unbegrenzte Möglichkeiten für Produzenten"
Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dem Verbot von Designerdrogen ist das BtmG selbst. Denn angesichts von mehreren hundert bekannten synthetischen Cannabinoiden liegt der Gedankengang nahe, sämtliche dieser Stoffe einfach prophylaktisch zu verbieten und den Produzenten so ihren Handlungsspielraum zu nehmen. Doch das ist in Deutschland nicht zulässig: Zum einen dürfen nur einzelne Substanzen im BtmG aufgenommen werden, zum anderen darf das auch nur dann geschehen, wenn deren Gefährlichkeit nachgewiesen wurde und sie in einem nennenswerten Umfang konsumiert werden. Nun wird eine Gesetzesänderung diskutiert, die das Verbot kompletter Substanzgruppen möglich machen soll - unabhängig von nachgewiesener Schädlichkeit und Konsumpraxis. Ein solcher Vorstoß dürfte allerdings auf Protest der Pharma-Industrie stoßen, da er die Erforschung und Produktion neuer Medikamenten wesentlich erschweren würde.
Notnagel Arzneimittelgesetz
Größere Sorgen macht den Behörden da schon die EU-weite Verbreitung von Händler- und Produzentenstrukturen: „Das Kernproblem stellt die internationale Dimension des Phänomens dar", räumt das Ministerium weiter ein. „Vergleichbare Lösungen wie in Deutschland auf Grundlage des AMG sind in anderen EU-Staaten nicht gegeben." Tatsächlich verlagert sich die Händler-Szene zunehmend ins Ausland. Gerade Länder wie die Niederlande und Belgien sind sehr beliebt - dort ist der Umgang mit synthetischen Cannabinoiden nicht strafbar. Bestellt werden die Produkte von den Konsumenten im Internet, die umstrittene Ware gelangt daraufhin per Post nach Deutschland. Dennoch machen sich die Händler auch in diesen Fällen strafbar: In dem Moment, wo sie Designerdrogen nach Deutschland versenden, verstoßen sie gegen deutsches Recht. Einzig die für die deutschen Behörden relativ schwierige und zeitaufwändige Ermittlung im Ausland schützt sie derzeit noch in einem gewissen Maße. Im Justizministerium in München ist man aber zuversichtlich, dass sich das bald ändern wird: „Dieses Problem hat die EU-Kommission zwischenzeitlich erkannt und gesetzgeberische Maßnahmen angekündigt, um einen EU-weiten Verfolgungsstandard herzustellen."
Wachsender Markt für Designerdrogen?
Unabhängig von Marktrecherchen stellen die Strafverfolgungsbehörden eine enorme Zunahme an verfügbaren Produkten auf diesem Markt fest: Gab es im Jahr 2009 rund 20 Anträge auf chemische Analyse von beschlagnahmten Designerdrogen, so waren es im Jahr 2010 schon zehnmal so viele, nämlich etwa 200. Und 2011 hat sich diese Zahl erneut mehr als verdoppelt - bis kurz vor Jahresende waren bereits rund 450 Untersuchungen beantragt worden. Allerdings könnten diese Zahlen auch in Zusammenhang mit der verstärkten Aufmerksamkeit für neuartige Designerdrogen stehen. Solche methodischen Artefakte könne man zumindest nie ganz ausschließen, erläutert Ingo Kipke von der DBDD: „Wenn man gezielt nach etwas sucht, dann findet man auch mehr davon." Aber auch der Wissenschaftler, der am Drogen-Frühwarnsystem der Europäischen Union (EWS) mitarbeitet, räumt ein: „Es gibt definitiv einen Markt dafür und man kann damit Geld verdienen."
Der Reiz vermeintlicher Legalität - ein Spiel mit dem Feuer
Die fehlenden Nachweisbarkeit der Designerdrogen ist aus Sicht der Konsumenten ein großer Vorteil. Allerdings geht mit den weitgehend unerforschten Substanzen auch ein nicht zu unterschätzendes Risiko einher: Was genau in den bunten Tütchen aus dem Internetshop enthalten ist, weiß nur der Hersteller. Weder kennen die Käufer die enthaltenen Inhaltsstoffe, noch deren genaue Dosierung. Und selbst wenn sie wüssten, was sie rauchen oder schnupfen - die langfristigen Auswirkungen der enthaltenen Substanzen kann niemand einschätzen, es fehlen die dafür nötigen Langzeituntersuchungen. „Diese Substanzen sind kaum erforscht, niemand kennt die genauen Folgen des Konsums", erklärt Ingo Kipke von der DBDD die Gefahren der Designerdrogen. Georg Wurth vom DHV warnt noch deutlicher: „Die enthaltenen Chemikalien werden nicht deklariert, der Konsument wird zum Versuchskaninchen. Ich würde niemandem raten, das Zeug zu probieren."
Folgen einer verfehlten Drogenpolitik?
Einen veränderten Blick auf das Thema Drogen fordern - neben Lobbygruppen wie dem DHV - auch mehrere politische Parteien in Deutschland. So wollen die Grünen die Abgabe von Marihuana über lizensierte Fachgeschäfte ermöglichen, die Piraten treten sogar für eine grundsätzliche Legalisierung aller Rauschmittel ein - ähnlich wie die Linke, die zuletzt mit der Diskussion über Clubs zum legalen Cannabisanbau von sich reden machte. Die Argumentationen der Parteien klingen stets ähnlich: Die einzig auf Verbote ausgerichtete Drogenpolitik der Bundesregierung sei gescheitert, ein Umdenken müsse her. Inwieweit solche Ansätze durch Wahlkampf und parteipolitische Spielchen befeuert sind, kann man nur mutmaßen - eines sollte aber unabhängig von der politischen Heimat jedem klar sein, der sich mit dem Thema näher beschäftigt: Durch Verbote lassen sich Drogen nicht aus der Welt schaffen.