Welt der Wunder

Nicht glauben, sondern wissen

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Foto: iStock/tomaszdarul

Was steckt hinter der Weltmacht Food Inc.?

Wie groß ist der größte Staat der Erde?

Tatsächlich ist die Siedlung Sungai Beruang nur die Spitze des Eisbergs: Denn die Weltmacht Food hat ihre Arme bis in die letzten Winkel der Erde ausgestreckt. „Wir hatten niemals so mächtige Nahrungsmittelkonzerne in unserer Geschichte“, erklärt der amerikanische Lebensmittelexperte Eric Schlosser. „Die Art, wie wir essen, hat sich in den letzten 50 Jahren mehr verändert als in den vorhergehenden 10.000 Jahren.“

Es klingt unglaublich, doch wäre die Weltmacht Food Inc. ein Staat, er besäße mit etwa 1,5 Milliarden Angestellten mehr Mitarbeiter, als China Einwohner hat. Er stünde hinter etwa einem Zehntel aller Dienstleistungen und produzierten Waren weltweit und überträfe in seiner wirtschaftlichen Stärke Deutschland und Frankreich zusammen. Und er wäre riesig: fast 50 Millionen Quadratkilometer groß, die 140-fache Fläche von Deutschland. Die Weltmacht Food, das sind wenige Konzerne – nur zehn kontrollieren 28 Prozent der Nahrungsmittelverarbeitung. Entscheidend ist aber: In einzelnen Branchen oder Ländern ist der Anteil noch viel höher. So teilen sich beispielsweise nur vier Konzerne 99 Prozent des Handels mit Masthühnchen. Und ein einziges Unternehmen kontrolliert mehr als 90 Prozent der Milchpulverproduktion in Brasilien. „Nur eine Handvoll Firmen können Auswahl, Lieferbedingungen und Angebot im riesigen Lebensmittelmarkt bestimmen“, so Chris Jochnick von der Hilfsorganisation Oxfam America. Und um weiter zu wachsen, eignen sich die Konzerne immer mehr Nutzflächen und größere Territorien an – notfalls mit Gewalt …

Doch anders als im Fall von Syrien oder dem Irak sind die Kriege der Weltmacht Food um Neuland nur selten Thema in den Nachrichten. Denn ihre Armeen tragen in der Regel keine Nationalfarben an ihren Uniformen, sind stattdessen gemietet oder gekauft: Private Militärdienstleistungen gelten mit derzeit etwa 200 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr als einer der am stärksten wachsenden Wirtschaftszweige weltweit. Ein Teil der geschätzt rund fünf Millionen Söldner erledigen die schmutzigen Jobs für die Weltmacht Food. Sie erobern neue Territorien wie in Indonesien: Denn nach indonesischem Recht gehört der Wald den Ureinwohnern, ohne deren Zustimmung geht dort nichts. Eigentlich. Von dieser Expansion
merken wir in Europa selten etwas, denn sie zeigt sich vor allem in Asien, Afrika und Südamerika: Fast alle der über 900 seit dem Jahr 2000 verzeichneten „großen Landnahmen“ – das heißt, wenn 200 Hektar oder mehr auf einmal den Besitzer wechseln – fanden in nur 32 Ländern der Erde statt, die meist klimatisch begünstigt in der Nähe des Äquators liegen. Akzeptieren die Bewohner nicht freiwillig ihre neue „Staatsbürgerschaft“, erscheinen oft wie in Indonesien die Räumkommandos und Brandrodungstruppen, um Fakten zu schaffen. Bei diesem sogenannten Land Grabbing handelt es sich nicht um kleine Parzellen, sondern um riesige Landstriche, die über Ländergrenzen hinweg reichen – ein extrem zersplittertes Staatsgebiet, das täglich wächst.

Die großen Landnahmen seit dem Jahr 2000 hätten das Potenzial, um eine Milliarde Menschen zu ernähren, also ein Siebtel der Weltbevölkerung. Doch davon kann keine Rede mehr sein: Zwei Drittel der neuen Eigentümer beabsichtigen, ausschließlich für den Export zu produzieren– unabhängig davon, ob die lokale Bevölkerung auf die Lebensmittel angewiesen ist. Denn statt vielseitiger Agrarproduktion dominiert nach der Landnahme nur noch eine Pflanze: die, die möglichst hohe Renditen verspricht …

Wo droht chemische Kriegsführung?

Unten dichtes Grün, in dem Menschen arbeiten. Oben am Himmel kreisen Flugzeuge, die ihre tödliche Fracht in feinsten Tröpfchen verteilen. Das ist keine Szene aus dem Vietnamkrieg, sondern Alltag auf den Feldern der Weltmacht Food, etwa der Teeplantage Kericho in Kenia mit 50.000 Arbeitern.

Offiziell dient die chemische Kriegsführung mit Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden der Schädlingsbekämpfung, faktisch bekämpft sie aber auch die eigenen Arbeiter, die zusammen mit ihren Familien auf dem Gelände wohnen: Ausschläge, Allergien, Entzündungen und Erkrankungen der Lunge gehören zum Alltag, alle sechs Monate werden die Arbeiter ausgetauscht. Doch der britische Plantagenbetreiber ist nach dem Staat Kenia der größte Arbeitgeber des afrikanischen Landes, viele Alternativen haben die Menschen dort nicht.

Lässt sich eine Gebühr auf Regenwasser erheben?

Jeder kennt die Öl-Supermacht Saudi-Arabien – aber wer kennt eigentlich die Wasser-Weltmacht Nestlé? Wasser ist das Lebensmittel Nummer 1 und so selbstverständlich für uns, dass wir uns kaum Gedanken darüber machen, wenn es plötzlich nicht mehr einfach aus dem Hahn sprudelt. In vielen Regionen der Erde aber ist der Zugang zu Trinkwasser bereits heute ein Problem, das durch die Weltmacht Food verschärft wird. Beispiel Mexiko: Während etwa in der Region um die Hauptstadt das Bohren neuer Brunnen wegen Wassermangels verboten ist, darf Nestlé dort Grundwasser entnehmen und in Flaschen abgefüllt verkaufen. In Pakistan fördert das Unternehmen die kostbare Flüssigkeit aus einem Tiefbrunnen und verkauft sie in Plastikflaschen zu einem Preis, höher als das Tageseinkommen vieler Pakistanis.

Längst ist Wasser zu einem der lukrativsten Geschäftsfelder der Erde geworden, 238 Milliarden Liter gehen jährlich davon über die Theke, jeder neunte im Namen von Nestlé Waters. Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern ist mit fast 100 Fabriken und mehr als 30.000 Mitarbeitern der größte Abfüller von Trinkwasser des Planeten. Im kanadischen Ort Hope zieht eine Tochtergesellschaft rund 265 Millionen Liter Grundwasser jährlich aus dem Boden und zahlt als Landeigentümer lediglich eine Art Gebühr auf das Grundnahrungsmittel: Rund zwei Euro für eine Million Liter – im Supermarkt kostet eine 1,5-Liter-Flasche Nestlé Pure Life derzeit rund 60 Cent. „Nestlé ist ein Raubtier auf der Suche nach dem letzten sauberen Wasser dieser Erde“, sagt die Wasserberaterin der UNO, Maude Barlow. Wohin das führen kann, zeigt ein anderes Beispiel aus der Stadt Cochabamba in Bolivien: Dort verschaffte sich im Jahr 2000 ein multinationales Konsortium das Monopol auf das gesamte vorhandene Wasser und ließ es sich von den Einwohnern teuer bezahlen. Sogar das Auffangen von Regenwasser wurde illegal – erst nach schweren Protesten und tödlichen Ausschreitungen wurde das Monopol-Gesetz wieder zurückgenommen.

Konflikte um das Wasser werden zunehmen, meint auch Maude Barlow: „Die Welt hat nur einen beschränkten Vorrat an Süßwasser. Insgesamt nur ein halbes Prozent des gesamten Wassers der Erde. Und dieser Vorrat wird weltweit in einer solchen Geschwindigkeit verbraucht, verschwendet, und verschmutzt, dass im Jahr 2025 zwei Drittel der Weltbevölkerung in irgendeiner Weise von Wassermangel betroffen sein werden.“

Wer kontrolliert, was ich esse – und wie viel?

In jeder Sekunde werden auf der Welt 4.000 Tassen Nescafé getrunken. Pro Tag nutzt die Weltbevölkerung 1,7 Milliarden Produkte aus dem Hause Coca Cola. Bis zu seinem 50. Lebensjahr hat ein Deutscher etwa 50 Tonnen Nahrung verzehrt, fast 300 Euro gibt jeder der 40 Millionen Haushalte hierzulande monatlich für Essen aus. Der Handel mit den vier Milliarden Tonnen jährlich produzierten Nahrungsmitteln ist ein krisensicheres Geschäft – aber was kostet unser Essen wirklich?

Für ein einzelnes Sandwich hat es Andy George nachgeprüft: Der US-Amerikaner hat die Zutaten dafür selbst angebaut, Brot gebacken, Käse angesetzt und sogar Salz aus Meerwasser gewonnen. Am Ende kam er auf Kosten von 1.500 Dollar und sechs Monate Zeit – wohlgemerkt, für eine einzige Mahlzeit. Das Experiment beweist, wie aufwendig die nichtindustrielle Produktion ist – an der Weltmacht Food führt mittlerweile kein Weg vorbei. Und ihr Einfluss nimmt weiter zu: Bereits heute kontrollieren rund 500 Unternehmen 70 Prozent des Warenangebots in einem typischen Supermarkt. Das Problem: Das Augenmerk von Konzernen liegt vor allem auf maximalen Profiten und hohen Gewinnspannen statt auf maximalem Nutzen. Sie entscheiden, was wir essen – zum Beispiel Stärke aus Kartoffeln der Sorte Amflora. Sie war im Jahr 1998 die erste gentechnisch veränderte Pflanze, die eine Zulassung in der EU erhielt. Mittlerweile ist die Zulassung in diesem einen Fall zwar wieder zurückgenommen, dennoch genehmigte die EU erst in diesem Jahr die Einfuhr von 19 verschiedenen gentechnisch veränderten Mais-, Soja-, Raps- Baumwoll- sowie Nelkenarten.

Die Weltmacht Food legt auch fest, wie wir essen: Zum Beispiel durch das Angebot leicht konsumierbarer, sogenannter Convenient-Produkte, bei denen teure (also natürlich gewachsene) Inhaltsstoffe durch chemisch erzeugte ersetzt werden. Um etwa einen Liter Wasser nach Grapefruit schmecken zu lassen, ist nicht eine einzige Südfrucht notwendig, sondern gerade einmal 0,2 Milliardstel Gramm Aroma.

Die Industrie entscheidet zudem, wie viel wir essen: Rund 1,9 Milliarden Menschen leiden an Übergewicht und krankhafter Fettleibigkeit, etwa 800 Millionen dagegen unter chronischem Hunger. Das liegt nicht nur an einem Mangel an vorhandener Nahrung, sondern vor allem an lukrativen Alternativen für die Nahrungsmittelproduktion: Rund 2,5 Milliarden Tonnen Getreide wurden 2014 weltweit geerntet, mehr als je zuvor. Doch nur knapp die Hälfte dieser Ernte dient als Lebensmittel, etwa 55 Prozent werden zu Tierfutter, Brennstoffen wie Biodiesel oder Industrierohstoffen verarbeitet.

Hat die Weltmacht Food die Erde in Einflusssphären aufgeteilt?

Der Siegeszug der Weltmacht Food hört aber nicht in Europa auf: „Ein Chinese verzehrt im Schnitt etwa 2.500 Kalorien am Tag, ein US-Amerikaner dagegen 3.500 oder mehr“, rechnet der Ökonom Merritt Cluff von der UN-Welternährungsorganisation vor. „Wenn da für jeden Chinesen, sagen wir mal, 1.000 Kalorien hinzukommen, dann gibt es eine Menge Geld zu verdienen.“ Die Sucht der Weltmacht Food nach neuen Anbauflächen für die Rohstoffe der Industrie wird also noch in weit größerem Maße zunehmen. Nicht zuletzt, weil pro Jahr Ackerland der sechsfachen Fläche von Hessen unwiederbringlich an sich ausbreitende Wüsten und Städte verloren geht. Bis 2030 werden etwa 8,5 Milliarden Menschen diesen Planeten bewohnen, der
Hunger nach Land muss sich neue Quellen suchen.

Ackerland war noch nie so teuer und begehrt wie heute, auch in Deutschland: Etwa 44 Prozent aller Finanzmittel weltweit fließen in Bodenwerte. Das wichtigste Ziel ist Afrika: China soll in der Demokratischen Republik Kongo 2,8 Millionen Hektar Land erworben haben, um die größte Ölpalmenplantage der Welt aufzubauen – eine Fläche, mehr als zehnmal größer als das Saarland. Aber auch in Indonesien geht das Rennen weiter: Bis 2025 soll das bereits vorhandene Anbaugebiet für diese aus Westafrika stammende Pflanze sogar noch einmal verdoppelt werden. Der Krieg um die Nahrung hat gerade erst begonnen…

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